Rechtsmittel eingelegt: ja
Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitskontrolle bezüglich der Abänderung der einzelvertraglich vereinbarten Geltung der „Allgemein Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der Gewerkschaft ÖTV”
Leitsatz (amtlich)
Entgeltfortzahlungsansprüche im Falle der Arbeitsunfähigkeit in folge Krankheit werden nicht vergleichbar wie eine Versorgungsanwartschaft erdient. Deshalb unterliegen Änderungen in Allgemeinen Arbeitsbedigungen, die die Existenzsicherung im Krankheitsfalle abhängig von der Beschäftigungszeit zum Inhalt haben, nicht einer Betriebskontrolle nach dem Maßstab des § 1 BetrAVG.
Normenkette
BetrVG §§ 77, 87; BetrAVG § 1; BAT §§ 37, 71
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 29.09.1998; Aktenzeichen 11 Ca 2088/98) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29. September 1998 – Az.: 11 Ca 2088/98 – wird auf Kosten der Berufungsführerin als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr im Krankheitsfalle weiterhin ein Anspruch auf Lohnfortzahlung entsprechend den Allgemeinen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der Beklagten vom 31. Oktober 1985 zusteht.
Die am 11. September 1951 geborene Klägerin ist mit Wirkung vom 01. August 1989 in die Dienste der beklagten Gewerkschaft getreten. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag ist ausgeführt, dass die Beschäftigungszeit am 01. August 1989 beginne. Die Klägerin war zuvor seit 1982 hauptberuflich beim … und im Anschluss daran bei der … tätig. Sie wird beschäftigt als Referatsleiterin gegen eine Vergütung in Höhe von DM 6.500,00 brutto. In dem Arbeitsvertrag vom 28. Juni/14. August 1989 haben die Parteien vereinbart:
Alle weiteren Arbeitsbedingungen richten sich nach den „Allgemeinen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der … und Betriebsvereinbarungen in den jeweils gültigen Fassungen.
Nach den Allgemeinen Arbeitsbedingungen vom 31. Oktober 1985 wurde die Vergütung bei Arbeitsunfähigkeit in den ersten 3 Jahren der Beschäftigung für 6 Wochen, bei einer Beschäftigungszeit von mehr als 3 Jahren für 13 Wochen und bei einer Beschäftigungszeit von mehr als 5 Jahren für 26 Wochen fortgezahlt. Die Allgemeinen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der Gewerkschaft … beruhen auf einem zwischen dem geschäftsführenden Hauptvorstand und dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen kollektiven Vertrag. Mit Wirkung vom 01. Juli 1997 ist eine Neufassung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen zwischen dem geschäftsführenden Hauptvorstand und dem Gesamtbetriebsrat vereinbart worden. Nunmehr ist nur noch Entgeltfortzahlung für die Dauer von 6 Wochen zu leisten und für die Zeit danach nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 3 Jahren ein Zuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrages vom Krankengeld zur Nettovergütung für 7 bis zu 72 Wochen. Die Beklagte hat entsprechend der Regelung unter § 32 a ihrer Satzung auf die Anrufung des Schlichtungsausschusses verzichtet.
Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klage geltend gemacht, es bestehe das notwendige Feststellungsinteresse, da sie im Falle der Wirksamkeit der neuen Allgemeinen Arbeitsbedingungen ihre Krankenversicherung umstellen müsse. Nach ihrer langen Betriebszugehörigkeit sei davon auszugehen, dass sie einen entsprechenden Besitzstand erworben habe, in den nicht eingegriffen werden könne. Vorliegend könne die spätere Betriebsvereinbarung die frühere günstigere Regelung nicht ablösen. Zwar gelte der Prüfungsmaßstab für Betriebsvereinbarungen, so dass grundsätzlich die Zeitkollisionsregelung eingreife. Die ablösende Betriebsvereinbarung halte jedoch einer Billigkeitskontrolle am Maßstab des § 1 des Betrieblichen Altersversorgungsgesetzes nicht stand. Bezüglich der Entgeltfortzahlungsansprüche bestehe eine Regelungslücke. Bei der betrieblichen Altersversorgung wie bei der Entgeltfortzahlung handle es sich um Sonderformen der Vergütung. Sie habe ein entsprechendes Anwartschaftsrecht erworben. Die Klägerin meint, das Recht der betrieblichen Altersversorgung sei analog anwendbar.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass ihr im Krankheitsfalle Anspruch auf Lohnfortzahlung entsprechend den Allgemeinen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der Gewerkschaft … vom 31.10.1985 zustehe.
Die Beklagte hat zur Begründung des Klagabweisungsantrags geltend gemacht, die Allgemeinen Arbeitsbedingungen stellten Gesamtvereinbarungen dar, denen eine tarifvertragsersetzende Funktion zukomme. Deshalb seien auch Verschlechterungen möglich. Selbst wenn man nur eine normale Betriebsvereinbarung annähme, läge kein Eingriff in einen schützenswerten Bestand vor. Die Klägerin habe durch die einzelvertragliche Bezugnahme auf die jeweilige Fassung der Regelungen dem Bestimmungsrecht zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat zugestimmt. Bei einer eventuell anzustellenden Billigkeitskontrolle entspreche die Neuregelung billigem Ermessen...