Entscheidungsstichwort (Thema)
Überwachungspflichten des Treuhänders im Restschuldbefreiungsverfahren. Kenntnis über die Abtretung einer Forderung i.S.d. § 407 BGB im Insolvenzverfahren. Informationspflichten des Treuhänders im Restschuldbefreiungsverfahren. Rechtsmissbräuchliches Verhalten im Streit um (fehlende) Kenntnis einer Abtretung
Leitsatz (amtlich)
1. Ohne Übertragung von Überwachungsaufgaben nach § 292 Abs. 2 Satz 1 InsO ist ein Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren nicht verpflichtet, von sich aus den Insolvenzschuldner auf die Einhaltung seiner Obliegenheiten nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu überprüfen.
2. Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB von der Abtretung von pfändbaren Forderungen eines Insolvenzschuldners an einen Treuhänder (§ 287 Abs. 2 InsO) kann der zur Zahlung der Bezüge Verpflichtete (§ 292 Abs. 1 Satz 1 InsO) - hier die Arbeitgeberin - auch dann haben, wenn bereits der Insolvenzverwalter noch vor der Bestellung eines Treuhänders auf die Abtretung hingewiesen hat.
3. Die Erfüllung der Informationspflicht durch den Treuhänder gegenüber dem "zur Zahlung der Bezüge Verpflichteten" nach § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO ist nicht zwingend erforderlich, damit der zur Zahlung der abgetretenen Forderung Verpflichtete Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB von der Abtretung hat.
4. Die Berufung auf fehlende Kenntnis i.S.d. § 407 Abs. 1 BGB kann gegen Treu und Glauben verstoßen.
Normenkette
InsO § 287 Abs. 2, §§ 288, 292 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 S. 1; BGB § 407 Abs. 1, § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 242; RPflG § 11 Abs. 2; InsO § 65; InsVV § 14 Abs. 3; BGB § 411
Verfahrensgang
ArbG Ulm (Entscheidung vom 01.12.2021; Aktenzeichen 7 Ca 153/21) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm - Kammern Ravensburg - vom 1. Dezember 2021 - 7 Ca 153/21 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.573,34 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 25. März 2021 zu bezahlen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger als Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahrens des Streitverkündeten - nachfolgend der Schuldner - verlangt von der Beklagten die Zahlung pfändbaren Arbeitseinkommens aus den Jahren 2017 und 2018, das die Beklagte bereits an den Schuldner ausgezahlt hat.
Am 14. Januar 2016 wurde über das Vermögen des Schuldners mit Beschluss des Amtsgerichts R. (3 IN 14/16) das Insolvenzverfahren eröffnet. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten des § 295 InsO nachkommt und die Voraussetzungen für eine Versagung nach den §§ 290, 297 bis 295 InsO nicht vorliegen. Vorangegangen war der am 6. Januar 2016 gestellte Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung nach § 287 Abs. 2 InsO, der unter anderem folgende Abtretungserklärung enthielt:
"Für den Fall der gerichtlichen Bestimmung eines Treuhänders (§ 288 Satz 2 InsO) trete ich hiermit meine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abtretungsfrist) an den Treuhänder ab."
Zum Insolvenzverwalter wurde Herr Rechtsanwalt D. bestimmt. Nach seinem Tod wurde mit Beschluss des Amtsgerichts R. vom 28. Juni 2016 (20 IN 14/16) der Kläger zum neuen Insolvenzverwalter bestellt.
Der Schuldner war zunächst seit dem 2. Juli 2016 als Bohrhelfer bei der Beklagten bis Ende des Jahres 2016 beschäftigt. Mit Schreiben vom 29. August 2016 zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten seine Bestellung als Insolvenzverwalter an und wies unter anderem auf Folgendes hin:
"Der Schuldner hat seine pfändbaren Bezüge im Rahmen des Restschuldbefreiungsantrages an den Insolvenzverwalter abgetreten. Der Insolvenzverwalter wird die pfändbaren Bezüge daher bis einschließlich Dezember 2021 (Erteilung der Restschuldbefreiung) für die Insolvenzmasse einziehen. Eine der Abtretung entgegenstehende Abrede im Arbeitsvertrag ist im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens unwirksam, § 287 Abs. 3 InsO. (...)."
Die Beklagte bestätigte den Eingang des Schreibens am 5. September 2016 und führte die pfändbaren Bezüge des Schuldners an den Kläger als Insolvenzverwalter für die Zeit bis Dezember 2016 ab.
Mit Beschluss des Amtsgerichts R. (20 IN 14/16) vom 6. April 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners aufgehoben und der Kläger als Treuhänder bestellt. Die Überwachung der Erfüllung der Obliegenheiten des Schuldners wurde ihm ausdrücklich nicht übertragen.
Mit Wirkung ab dem 18. April 2017 wurde der Schuldner erneut bei der Beklagten als Bohrhelfer bis Dezember 2018 beschäftigt. Die Beklagte zahlte ihm die vollen Nettovergütungen aus, an den Kläger leistete sie keine Zahlungen. Die Entgeltabrechnung für April 2017 (Anlage K 5, Bl. 12 der erstinstanzlichen Akte) weist ebenso wie die nachfolgenden Abrechnungen als ...