Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung. Weiterbeschäftigung im Rahmen des Berufungsverfahrens

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Chefredakteur einer Online-Redaktion hat einen Weiterbeschäftigungsanspruch bei noch nicht eintretender Kündigungsfrist, den er mit Erfolg im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend macht.

 

Normenkette

ZPO §§ 935, 940; BGB § 611a; GG Art. 1, 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 14.04.2021; Aktenzeichen 4 Ga 23/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14. April 2021 - 4 Ga 23/21 - abgeändert.

Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Verfügungskläger einstweilen - bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im unter dem Aktenzeichen 4 Ca 2075/21 geführten Rechtsstreit - längstens aber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Mai 2022 als Chefredakteur der Onlineredaktion im Homeoffice in ... zu unveränderten Arbeitsbedingungen zu beschäftigen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.

 

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestands wird gern. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen, nachdem gegen dieses Urteil im Hinblick auf §§ 64 Abs. 7, 62 Abs. 2 Satz 1, 72 Abs. 4 ArbGG unzweifelhaft ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.

 

Entscheidungsgründe

Auf die zulässige Berufung des Verfügungsklägers war das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und die Verfügungsbeklagte antragsgemäß zur einstweiligen Beschäftigung des Verfügungsklägers zu verurteilen.

A.

Die Berufung des Verfügungsklägers ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519 Abs.1 und 2, 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.

B.

Die Berufung des Verfügungsklägers ist auch begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung liegen nach Auffassung der Berufungskammer vor. Eine solche erfordert einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund - unabhängig davon, ob eine Regelungsverfügung (§ 940 ZPO) oder eine Sicherungsverfügung (§ 935 ZPO) begehrt wird.

I.

Dem Verfügungskläger steht ein Beschäftigungsanspruch im unbeendeten Arbeitsverhältnis zu, der mit einer einstweiligen Verfügung gesichert werden kann.

1. Es ist seit langem anerkannt, dass der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung hat. Dieser verpflichtet den Arbeitgeber nicht nur dazu, die vereinbarte Vergütung zu zahlen, sondern auch dazu, das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers durch tatsächliche Beschäftigung zu befriedigen. Dies wird aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (§§ 611 a Abs. 1, 613, 242 BGB) unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG (vgl. hierzu BAG 27. Mai 2020 - 5 AZR 247/19 - NZA 2020, 1169) hergeleitet (BAG 27. Februar 1985 - GS 1/84 - BAGE 48, 122). Es handelt sich um eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis (LAG Hessen 15. Dezember 2017-10 SaGa 1508/17 - juris).

Eine einseitige Suspendierung des Arbeitnehmers ist grundsätzlich nicht zulässig (BAG 21. September 1993 - 9 AZR 335/91 - NZA 1994, 267). Der Beschäftigungsanspruch muss nur dann zurücktreten, wenn überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Das kann etwa der Fall sein beim Wegfall der Vertrauensgrundlage, bei Auftragsmangel oder bei einem demnächst zur Konkurrenz abwandernden Arbeitnehmer aus Gründen der Wahrung von Berufsgeheimnissen (BAG 9. April 2014 -10 AZR 637/13 - BAGE 148, 16).

Andererseits kann sich auf Seiten des Arbeitnehmers das allgemeine ideelle Beschäftigungsinteresse im Einzelfall noch durch besondere Interessen ideeller und materieller Art, etwa Geltung in der Berufswelt, Ausbildung, Erhaltung von Fachkenntnissen usw., verstärken (vgl. BAG 27. Februar 1985 - GS 1/84 - a.a.O.).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der erforderliche Verfügungsanspruch gegeben. Es kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zu einem Zeitpunkt vor dem 31. Mai 2022 aufgelöst worden ist, der Verfügungskläger mit seinem auf den Zeitraum bis zum 31. Mai 2022 begrenzten Anspruch somit Beschäftigung im fortbestehenden Arbeitsverhältnis verlangen kann.

a) Zwar hat die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis durch das im März 2021 zugegangene Kündigungsschreiben vom 22. März 2021 versucht zum 30. Juni 2021 ordentlich zu kündigen. Diese Kündigung kann das Arbeitsverhältnis - selbst wenn zugunsten der Verfügungsbeklagten die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes unterstellt werden - aber unter Beachtung der vereinbarten Kündigungsfrist nicht vor dem 31. Mai 2022 auflösen.

aa) Der RTV findet sowohl gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG kraft beidseitiger Tarifbindung als auch wegen der Bezugnahmeklausel in Ziffer 3 des Arbeitsvertrags vom 18./20. Juli 2016 i.V.m. dem Zusatzvertrag...

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