Entscheidungsstichwort (Thema)
Datenschutzrechtlicher Anspruch auf Herausgabe einer Kopie des Protokolls einer Sitzung des Kirchengemeinderats. Personenbezogene Protokolle nichtöffentlicher Sitzungen. Grundsätzliche vorrangige Anwendbarkeit der kirchenrechtlichen Datenschutzregelungen
Leitsatz (amtlich)
1. Stützt der Kläger sein auf einem einheitlichen Streitgegenstand im Sinne eines einheitlichen prozessualen Anspruchs beruhendes Rechtsschutzziel (Streitgegenstand) sowohl auf eine kirchliche als auch auf eine staatliche Rechtsgrundlage kommt den Gerichten für Arbeitssachen in entsprechender Geltung des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG eine verfahrensüberschreitende Sachentscheidungskompetenz zu (im Anschluss an BAG, Beschl. v. 30.04.2014, 7 ABR 30/12 Rn. 24).
2. Im Lichte der Kirchenklausel in Art. 17 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 91 Abs. 1 DSGVO sind die kirchenrechtlichen Datenschutzregelungen grundsätzlich vorrangig anwendbar und verdrängen die DSGVO. Eine vollständige Identität des kirchlichen Datenschutzgesetzes (DSG-EKD) mit der DSGVO folgt damit nicht aus der tatbestandlichen Voraussetzung des Art. 91 Abs. 1 DSGVO "in Einklang gebracht werden".
3. Personenbezogene Protokolle nichtöffentlicher Sitzungen begründen Rechte anderer Personen i.S.d. Art. 15 Abs. 4 DSGVO und stehen grundsätzlich dem Recht auf Erhalt einer Kopie entgegen.
Normenkette
AEUV Art. 17 Abs. 1; DSGVO § 91 Abs. 1; DSG-EKD § 19; DSGVO Art. 15 Abs. 3 S. 1, Art. 91 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 24.05.2023; Aktenzeichen 15 Ca 3910/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.05.2023 - 15 Ca 3910/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich über die Herausgabe einer Kopie des Protokolls einer Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15.05.2006, hilfsweise über die getreue Wiedergabe der Daten im Protokoll, weiter hilfsweise über Auskunft und Einsicht inklusive der Schwärzung des Protokolls und über Ersatz für immateriellen Schaden.
Wegen des erstinstanzlichen unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den nicht mit einem Berichtigungsantrag angegriffenen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Bezug genommen und verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 24.05.2023 die weitergehende Klage insgesamt abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe, soweit zweitinstanzlich von Interesse, unter I. 1. bis 4. Bezug genommen und verwiesen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 07.06.2023 zugestellte Urteil mit beim Berufungsgericht am 02.07.2023 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und sie mit beim Landesarbeitsgericht am 30.07.2023 eingegangenem Schriftsatz ausgeführt.
Sie rügt auf der Grundlage ihres für die Ordnungsgemäßheit ihrer Begründung allein maßgebenden Schriftsatzes vom 30.07.2023, der Gegenstand der Berufungsverhandlung war und auf den Bezug genommen und verwiesen wird, näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts insbesondere insoweit, als Art. 15 DSGVO sehr wohl Anwendung finde, da das kirchliche Datenschutzrecht (DSG-EKD) nicht "im Einklang" mit der DSGVO stehe. § 19 DSG-EKD verkürze nämlich die Auskunftsrechte der Betroffenen. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts stünden ihrem Anspruch keine Rechtsvorschriften oder berechtigte Interessen Dritter entgegen. Es gehe zu Unrecht davon aus, dass es immer dann, wenn es sich um nichtöffentliche Kirchengemeinderatssitzungen handele, die der Verschwiegenheitspflicht unterlägen, keine Herausgabe geben könne. Es sei nachvollziehbar, dass Personalsachen als vertrauliche Angelegenheiten im Sinne des § 31 KGO in nichtöffentlicher Sitzung verhandelt würden. Dies könne jedoch nicht das Betroffenenrecht auf Auskunft, Herausgabe und Einsicht in dieses Protokoll ausschließen. Dass die Kirche sich Regelungen geben könne, welche Sachverhalte öffentlich oder nichtöffentlich zu behandeln seien, sei nachvollziehbar und im Rahmen des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts möglich. Diese kircheninterne Wertung könne jedoch nichts am zentralen Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, welches sich aus Art. 2 Grundgesetz und aus Art. 8 der EMRK ergebe, ändern. Diesbezüglich verweise sie auf den Schutzzweck, auf den Grundsatz "venire contra factum proprium" hinsichtlich eines fehlenden Teilnahmerechts des Diakons W. und des Pfarrers P. an der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15.05.2006, auf die Normenhierarchie in Bezug auf das Verhältnis der KGO zur DSG-EKD bzw. der DSGVO und auf den Grundsatz der Gleichbehandlung im Verhältnis zu anderen nicht bei kirchlichen Arbeitgebern beschäftigen Arbeitnehmern. Ihr stehe jedenfalls ein Anspruch auf Einsicht auch in nichtöffentliche Protokolle im Hinblick auf personenbezogene Daten gegebenenfalls nach Schwärzung von Namen und sonstigen geheimhaltungspflichtigen Informationen entsprechend den Leitlinie...