Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB, innerer Zusammenhang zwischen dem eigentlichen Kündigungsgrund und länger zurückliegenden Ereignissen
Leitsatz (amtlich)
1. Die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses setzt voraus, dass der maßgebliche Kündigungsgrund nicht länger als zwei Wochen bekannt ist.
2. Länger zurückliegende Ereignisse (Altfälle) können unterstützend mit herangezogen werden, sofern sie auf der „gleichen Linie” liegen bzw. in einem „inneren Zusammenhang” mit dem eigentlichen Kündigungsgrund stehen.
3. Verneinung eines derartigen inneren Zusammenhangs bei Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten einerseits und Hauptpflichten andererseits.
4. Abgemahnte Altfälle sind ohne einschlägigen Wiederholungsfall regelmäßig kündigungsrechtlich „verbraucht”, gleichwohl aber deren Mit-Berücksichtigung bei der unerlässlichen Gesamtbetrachtung im Rahmen der Interessenabwägung.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Urteil vom 11.07.2006; Aktenzeichen 12 Ca 100/06) |
Tenor
1. a. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Mannheim vom 11.07.2006 – 12 Ca 100/06 –, soweit die Feststellungsklage abgewiesen wurde abgeändert, im Kostenpunkt aufgehoben und insgesamt zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
b. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 28.02.2006, noch durch die außerordentliche Kündigung vom 28.02.2006 mit sozialer Auslaufrist mit Ablauf des 30.09.2006 aufgelöst wurde.
c. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Verfahrens als Medizinisch-Technische Assistentin weiterzubeschäftigen.
2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreites – beide Rechtszüge – trägt die Beklagte.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer seit dem 06.03.2006 anhängigen Klage wehrt sich die Klägerin gegen eine außerordentliche Kündigung vom 28.02.2006.
Die am 15.03.1957 geborene Klägerin lebt von ihrem Ehemann getrennt. Sie ist Mutter zweier Söhne, die zur Zeit der Kündigung 14 und 17 Jahre alt waren.
Seit April 1980 steht sie in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten als Medizinisch-Technische Laborassistentin – zuletzt ab 01.03.1994 – in der kardiologischen Abteilung der I. Medizinischen Klinik der Beklagten. Dem Arbeitsverhältnis ist der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und die ergänzenden oder abändernden Tarifverträge einzelvertraglich zugrundegelegt. Zur Aufgabe der Klägerin gehört es, Elektrokardiogramme (EKG) zu erstellen.
Am 02.12.1997 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin wegen behaupteten genesungswidrigen Verhaltens nach Krankschreibung. Das Arbeitsgericht Mannheim gab mit Urteil vom 08.05.1998 – Az.: 7 Ca 442/97 – der Kündigungsschutzklage statt mit der Begründung, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 02.12.1998 – Az.: 12 Sa 90/98 – mit der Begründung zurückgewiesen, trotz der stundenweise durchgeführten Verkaufstätigkeit in einem Fachgeschäft für Kinderspielzeug während der Dauer ihrer Krankschreibung hätten sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Heilungsprozess verzögert worden sei. Die von der Beklagten eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen – Az.: 6 AZN 76/99 –.
Anfang April 2002 begab sich die Klägerin in eine regelmäßige und fortdauernde fachärztliche Behandlung durch den Nervenarzt, Psychotherapeuten und Psychoanalytiker Dr. W. He.
Anfang des Jahres 2004 bat sie das zuständige Jugendamt um Hilfe in Erziehungsfragen. Das Jugendamt beantragte im weiteren Verlauf beim Amtsgericht – Familiengericht – L. die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes und zur Regelung und Entscheidung in schulischen Angelegenheiten der beiden Söhne der Klägerin.
Am 12.07.2005 führte die Klägerin während der Arbeitszeit über einen Dienstapparat ein etwa 25-minütiges Telefonat mit der Klassenlehrerin eines ihrer Söhne. Im Laufe dieses Gespräches erfuhr die Klägerin, dass der Sohn etwa 30 mal nicht die Schule besucht hatte.
Im Laufes des Jahres 2005 verstarb der Vater der Klägerin, den diese bis dahin teilweise wegen einer Parkinson-Erkrankung gepflegt hatte.
Vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung vom 28.02.2006 hat die Beklagte den Betriebsrat mit dreiseitigem Anschreiben vom 22.02.2006 angehört und auf 14 beigefügte Anlagen-Konvolute verwiesen – vgl. Bl. 1 bis 84 des Anlagenbandes zur erstinstanzlichen Akte –.
Ausweislich dieser Anlagen wirft die Beklagte der Klägerin folgende – im Wesentlichen unstreitige – Vertragsverletzungen vor:
Anlage 1(Blatt 4 bis 21):
Prof. Dr. S., Arzt für Transfusionsmedizin, beschwerte sich mit Schreiben vom 13.11.1986 bei der Personalabteilung über
- inadäquate Bestellpraxis von Patienten,
- Bestellung zu großer Mengen seltener und teurer Testserien,
- bewusste Falschinformat...