Entscheidungsstichwort (Thema)
Erreichen der Regelaltersgrenze als Beendigungszeitpunkt gemäß wirksamer Arbeitsvertragsklausel. AGB-Kontrolle von Beendigungstatbeständen im Arbeitsvertrag. Wesen der Fortsetzungsvereinbarung nach § 41 S. 3 SGB VI. Beweislastregeln bei verbotener Benachteiligung eines Betriebsratsmitgliedes nach Eintritt der Rente. Fortsetzungsvereinbarung mit Betriebsratsmitglied nach Erreichen der Regelaltersgrenze
Leitsatz (amtlich)
1. Die Klausel "Das Arbeitsverhältnis endet spätestens mit Ablauf desjenigen Monats, in welchem Sie Altersruhegeld bewilligt erhalten oder Sie das 65. Lebensjahr vollendet haben." hält der AGB-Kontrolle stand und beendet das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der individuellen Regelaltersgrenze. Sie beendet das Arbeitsverhältnis entsprechend früher, wenn dem Arbeitnehmer bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Altersrente bewilligt wurde.
2. Eine Fortsetzungsvereinbarung nach § 41 S. 3 SGB VI beruht auf dem Prinzip der beiderseitigen Freiwilligkeit. Offen bleibt, ob schon das der Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes entgegensteht. Jedenfalls würde es dem mit § 41 S. 3 SGB VI verfolgten gesetzgeberischen Zweck (einfach zu handhabende individuelle Gestaltungsmöglichkeit in einer Übergangsphase) zuwiderlaufen, den Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu binden.
3. Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach die Entscheidung eines Arbeitgebers, mit einem Betriebsratsmitglied nach Erreichen der Regelaltersgrenze keine unbefristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu vereinbaren, auf der Betriebsratstätigkeit beruht und das Betriebsratsmitglied somit verbotenerweise benachteiligt. Bestreitet der Arbeitgeber gegenüber dem auf Fortsetzung des befristeten Arbeitsverhältnisses klagenden Betriebsratsmitglied die von diesem behauptete Ursächlichkeit der Betriebsratstätigkeit, muss das Betriebsratsmitglied weitere, für seine Behauptung sprechende Indizien vortragen und diese ggf. beweisen.
Normenkette
TzBfG § 14; SGB VI § 41; BetrVG § 78; GG Art. 3; BGB § 280 Abs. 1, § 307 Abs. 1 S. 2; ZPO § 97 Abs. 1, § 138 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 05.11.2020; Aktenzeichen 9 Ca 376/19) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Lörrach - vom 05.11.2020, 9 Ca 376/19, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer Befristungsregelung mit Erreichen der Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Kläger geendet hat und hilfsweise, ob der Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung über diesen Zeitpunkt hinaus hat, insbesondere ob die Beklagte durch die Weigerung, das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus fortzusetzen den Kläger wegen seiner Tätigkeit als Betriebsrat benachteiligt hat.
Der im Januar 1954 geborene Kläger ist seit August 1993 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Bis Februar 2009 war der Kläger als "Verkaufscenter-Leiter VCL" tätig; 1998 wurde er als Betriebsratsmitglied gewählt; 2003 wurde er Betriebsratsvorsitzender, seit März 2009 ist er als Betriebsratsvorsitzender gem. § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellt. Der Kläger bekleidet die Ämter des örtlichen Betriebsratsvorsitzenden (Betriebsrat Baden-Württemberg) und des Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats; er ist zudem Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten. Zuletzt belief sich das Monatsbruttogehalt des Klägers auf 6.839,45 EUR.
Im Arbeitsvertrag der Parteien ist, soweit hier von Interesse, geregelt: (§ 10 Satz 7):
"Das Arbeitsverhältnis endet spätestens mit Ablauf desjenigen Monats, in welchem Sie Altersruhegeld bewilligt erhalten oder Sie das 65. Lebensjahr vollendet haben. (ANL K1/1 = Abl. 17 ff.)."
Im Januar 2019 wurde der Kläger 65 Jahre alt. Das - stufenweise angehobene - gesetzliche Rentenalter für den Bezug einer Regelaltersrente erreichte er im September 2019 (für den Jahrgang des Klägers: 65 Jahre + 8 Monate). Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger weder einen Rentenbescheid noch eine Rentenauszahlung erhalten; die gesetzliche Altersrente hatte er beantragt.
Im Mai und nochmals im Juli 2019 hatte die Beklagte dem Kläger Aufhebungsverträge vorgelegt, die der Kläger aber nicht unterschrieben hat.
Mit Anwaltsschreiben vom 10. September 2019 (ANL K 6 = Abl. 37) teilte die Beklagte dem Kläger - auszugsweise - mit: "Das Arbeitsverhältnis zwischen meiner Mandantin und Herrn H. wird zum 30.09.2019 beendet."
Mit seiner am 30.9.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wehrte sich der Kläger gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Befristungsregelung bzw. die behauptete Kündigung und macht klageerweiternd einen Hilfsanspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geltend.
Vor dem Arbe...