Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Anerkennungstarifvertrages zu Inhalt und Reichweite der Anerkennung von Tarifwerken im Nachwirkungszeitraum des Anerkennungstarifvertrages. Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel in Altvertrag bei Vertragsänderung. Unbegründete Zahlungsklage auf Tariflohnerhöhung bei fehlenden Anhaltspunkten für betriebliche Übung aufgrund regelmäßiger Erhöhung der Entgelte entsprechend der Tariflohnbestimmungen
Leitsatz (amtlich)
1. Umfasst die Anerkennung in einem Anerkennungstarifvertrag ausdrücklich auch die Tarifverträge, die erst nach Abschluss des Anerkennungstarifvertrags abgeschlossen werden, entspricht es regelmäßig dem Willen der Tarifvertragsparteien, die Anerkennung auf die während der Laufzeit des Anerkennungstarifvertrags abgeschlossenen Tarifverträge zu beschränken und nicht auch auf solche Tarifverträge zu erstrecken, die erst im Nachwirkungszeitraum (§ 4 Abs. 5 TVG) abgeschlossen werden (keine "Ewigkeitsbindung").
2. Zur Auslegung einer vertraglichen Bezugnahmeklausel (hier: Altvertrag, kein Neuabschluss bei Mitteilung einer tariflichen Umgruppierung; keine eigenständige Vergütungsvereinbarung durch Benennung einer Tarifgruppe).
3. Es besteht unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers keine Betriebliche Übung allein aufgrund regemäßiger Erhöhung der Entgelte entsprechend den (einschlägigen) Tariflohnbestimmungen (s. Rspr. des BAG, z. B. Urteil vom 19.10.2011, 5 AZR 359/10).
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei Verweisungsklauseln in Arbeitsverträgen, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 abgeschlossen worden sind ("Altverträge"), kommt es bei einer Vertragsänderung nach dem 01.01.2002 für die Beurteilung, ob es sich hinsichtlich der Auslegung dieser Klausel um einen Neu- oder Altvertrag handelt, darauf an, ob die Klausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist.
2. Enthält bereits der Altvertrag vom 17.12.1999 den Hinweis, dass die ursprünglich vereinbarte Entgeltgruppe zur Herbeiführung einer normgerechten Tarifanwendung jederzeit korrigiert werden kann und wird eine solche Korrektur mit Schreiben vom 17.02.2004 mitgeteilt, beinhaltet diese Änderung keinerlei ausdrücklichen noch sonst sich erschließenden Abänderungs- oder Neufassungsgehalt hinsichtlich der bestehenden vertraglichen Bezugnahmeklausel; damit wird der Inhalt der bestehenden Vertragsbeziehung nicht erneut zum Inhalt der Vereinbarung gemacht.
3. Ergibt sich aus dem Zusammenhang des Arbeitsvertrages vom 17.12.1999, dass die Vergütung sich nach dem jeweils geltenden Tarifvertrag richten sollte und damit keine eigenständige Entgeltvereinbarung in dem Sinne getroffen wurde, dass die Arbeitnehmerin unabhängig von der Geltung der Tarifverträge eine Vergütung nach einer bestimmten erhalten sollte, stellt die Benennung der Vergütungsgruppe in der Mitteilung vom 17.02.2004 auch nach der Unklarheitenregel in § 305c Abs. 2 BGB keine "kleine zeitdynamische Verweisung" dar.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 151 S. 1, §§ 242, 611 Abs. 1; TVG § 4 Abs. 5; TV Anerkennung § 2 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 23.08.2013; Aktenzeichen 9 Ca 20/13) |
Tenor
1.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 23.08.2013 - 9 Ca 20/13 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte aufgrund einer vertraglichen Bezugnahmeklausel verpflichtet ist, die zwischen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) und dem Arbeitgeberverband Chemie Baden-Württemberg e.V. (künftig: AGV Chemie) ab 01.08.2012 vereinbarte Tariflohnerhöhung um 4,5 % (§ 3 des Tarifvertrags über Entgeltsätze und Ausbildungsvergütung für die chemische Industrie in Baden-Württemberg vom 24.05.2012, künftig: TV-Entgelt 2012) auch der Klägerin zu gewähren.
Das Arbeitsverhältnis wurde mit der F. C. GmbH begründet und ging zum 01.08.2010 auf die Beklagte über. Die F. C. GmbH war vom 01.01.1974 bis zum 31.12.2007 und vom 01.07.2008 bis zum 31.05.2010 Mitglied des AGV Chemie. Die Beklagte schloss mit Datum vom 01.08.2010 rückwirkend zum 01.04.2010 einen Anerkennungstarifvertrag mit der IGBCE (künftig: ATV). Danach wurden die Tarifverträge der IGBCE im Bereich der westdeutschen Industrie in ihrer jeweiligen Fassung anerkannt. Die Anerkennung umfasste ausdrücklich auch die Tarifverträge, "die erst nach Abschluss des Anerkennungstarifvertrags abgeschlossen werden" (ABl. 4 ff. der erstinstanzl. Akte). Die Beklagte hat den ATV zum 31.12.2011 gekündigt. Bereits mit Rundschreiben vom 18.07.2011 hatte sie im Zusammenhang mit der Entgeltanpassung 2011 ihre Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass - sofern kein Rechtsanspruch aus einer anderen Rechtsgrundlage auf die Entgeltanpassung bestehe - diese freiwillig mit der Maßgabe erfolge, dass auch durch eine wiederholte Leistung ein Rechtsanspruch auf eine Entgeltanpass...