Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachlich gerechtfertigte Arbeitszeitverkürzung für ältere Beschäftigte. Anspruch einer teilzeitbeschäftigten Sachbearbeiterin auf Zeitgutschrift auf tarifliches Langzeitkonto

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das tarifliche Modell einer Arbeitszeitverkürzung im Alter gemäß § 5.1 des Ergänzungstarifvertrages für Beschäftigte von debis-Unternehmen 1999/2003 Fassung: Nordwürttemberg/Nordbaden vom 9. September 1999 (im Folgenden: ETV), das für Vollzeitbeschäftigte mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden eine gestaffelte Verkürzung der Arbeitszeit ab dem 50. Lebensjahr - in Form von Zeitgutschriften auf das tarifliche Langzeitkonto bei Beibehaltung der bisherigen Arbeitszeit, auf Wunsch des Arbeitnehmers in Form einer tatsächlichen Reduzierung der Arbeitszeit - vorsieht, hält einer rechtlichen Überprüfung stand.

2. Die damit verbundene Ungleichbehandlung jüngerer Vollzeitbeschäftigter wegen des Alters ist gemäß § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG gerechtfertigt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Tarifvertragsparteien ab dem 50. Lebensjahr eine altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit und ein damit einhergehendes gesteigertes Erholungsbedürfnis der Vollzeitbeschäftigten angenommen haben.

3. Die Auslegung der tariflichen Regelungen des ETV ergibt, dass Teilzeitbeschäftigte ab dem 50. Lebensjahr, bei denen die Wahl einer anteiligen tatsächlichen Reduzierung der Arbeitszeit tariflich ausgeschlossen ist, an diesem Modell nicht in Gestalt einer kompensierenden Vergütungserhöhung, jedoch in Gestalt eines Anspruchs auf anteilige Zeitgutschriften auf das tarifliche Langzeitkonto partizipieren.

4. Partizipierten Teilzeitbeschäftigte ab dem 50. Lebensjahr nicht an dem tariflichen Modell in Gestalt eines Anspruchs auf anteilige Zeitgutschriften, läge darin eine Ungleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter iSd. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG. Eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung kann nicht damit begründet werden, der Grund für die Arbeitszeitverkürzung für Vollzeitbeschäftigte im Alter, nämlich das gesteigerte Erholungsbedürfnis, treffe auf die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten nicht zu (aA LAG Hamm 30. Januar 2014 - 8 Sa 942/13; LAG Köln 12. Mai 2000 - 12 (10) Sa 1474/99).

5. Die mit dem Anspruch auf anteilige Zeitgutschriften für ältere Teilzeitbeschäftigte verbundene Ungleichbehandlung jüngerer Teilzeitbeschäftigter wegen des Alters ist dementsprechend ebenfalls gemäß § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG gerechtfertigt.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 7 Abs. 1 Hs. 1, § 10 S. 3 Nr. 1; TzBfG § 4 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 24.07.2015; Aktenzeichen 1 Ca 8186/14)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24. Juli 2015 - 1 Ca 8186/14 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24. Juli 2015 - 1 Ca 8186/14 - wird mit der Klarstellung zurückgewiesen, dass die Gutschrift auf das tarifliche Langzeitkonto erfolgt.
  3. Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.
  4. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 17 %, die Beklagte 83 % zu tragen.
  5. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte an einer tariflichen Regelung zur Reduzierung der Arbeitszeit ab dem 50. Lebensjahr im Wege einer Erhöhung ihrer Vergütung, hilfsweise im Wege von Zeitgutschriften auf ihrem tariflichen Langzeitkonto partizipiert.

Die am 00. Februar 0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Sachbearbeiterin mit einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.192,00 EUR bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 24 Stunden beschäftigt (vgl. den Arbeitsvertrag, Anlage K 1, Bl. 8 ff. der erstinstanzlichen Akte).

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Ergänzungstarifvertrag für Beschäftigte von d.-Unternehmen 1999/2003 Fassung: Nordwürttemberg/Nordbaden vom 9. September 1999 (im Folgenden: ETV; Anlage K 2, Bl. 13 ff. der erstinstanzlichen Akte) Anwendung. Dieser enthält ua. die folgenden Regelungen:

"§ 3 Vergütungshöhe

...

3.6 Das Tarifgehalt (tarifliches Jahreszielgehalt) für Teilzeitbeschäftigte bemisst sich nach dem Verhältnis der individuell vereinbarten Arbeitszeit zu der sich nach § 5 ergebenden tariflichen Arbeitszeit.

(...)

§ 5 Arbeitszeit

Vollzeitbeschäftigte sind Arbeitnehmer mit einer Regelarbeitszeit zwischen 35 und 40 Wochenstunden. Teilzeitbeschäftigte sind Arbeitnehmer mit einer Regelarbeitszeit unter 35 Wochenstunden.

Dieser Regelarbeitszeit wird nach folgenden Maßgaben individuell differenziert:

- Lebensalter

- Schichtbetrieb

- individuelle Vereinbarung

5.1 Die tarifliche Regelarbeitszeit ist je nach Lebensphase unterschiedlich hoch. Sie beträgt für alle Arbeitnehmer bis zur Vollendung des 49. Lebensjahres 40 Stunden.

Bei Beibehaltung der bisherigen Arbeitszeit in dieser Höhe erhalten Arbeitnehmer ab dem 50. Lebensjahr Gutschriften auf das tarifliche Langzeitkonto, die

ab dem 50. Lebensjahr bis zur Vollendung des 52. Lebensjahres 2 Stunden

ab...

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