Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Verlängerung der sachgrundlosen Befristung eines Arbeitsverhältnisses über zwei Jahre hinaus im Geltungsbereich eines Tarifvertrages. Befristungsschädlichkeit der Änderung der Vertragsbedingungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Verlängerung der sachgrundlosen Befristung
Leitsatz (amtlich)
1. Werden die Verlängerung der sachgrundlosen Befristung und die Änderung der Vertragsbedingungen in sehr engem zeitlichen Zusammenhang, jedoch in getrennten Vereinbarungen abgeschlossen, liegt kein befristungsschädlicher Neuabschluss eines Arbeitsvertrags vor, wenn die Vereinbarungen dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber bereits vorunterschrieben vorgelegt wurden und der Arbeitnehmer die Entschlussfreiheit hat, den einen Vertrag zu unterschreiben und den anderen nicht zu unterschreiben.
2. Lediglich wenn der Arbeitgeber zum Ausdruck bringt, dass er den Verlängerungsvertrag nicht ohne den Änderungsvertrag abschließen will, liegt darin eine unzulässige Beeinflussung der Entschlussfreiheit des Arbeitnehmers bezogen auf den Verlängerungsvertrag mit der Folge, dass die neue Befristung unwirksam ist. Gegen die Annahme einer solchen, vom Arbeitgeber hergestellten unzulässigen Verknüpfung des Verlängerungsvertrags mit dem sehr zeitnah abgeschlossenen Änderungsvertrag kann im Einzelfall beispielsweise der Umstand sprechen, dass der Änderungsvertrag bereits ab einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt wirken soll und nur solche Änderungen der Arbeitsbedingungen vertraglich festschreibt, die die Parteien seit diesem Zeitpunkt schon im laufenden Arbeitsverhältnis praktiziert haben.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 2 Sätze 1, 3; KSchG § 6 Sätze 1-2, § 7 Hs. 1; TzBfG § 17 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 27.06.2018; Aktenzeichen 6 Ca 319/17) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 27.06.2018 - 6 Ca 319/17 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der klagende Arbeitnehmer erstrebt mit seinen Hauptanträgen die Feststellung, dass das mit der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund einer Befristungsvereinbarung vom 06.02.2017 mit Ablauf des 31.12.2017 geendet habe, sowie die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestehe. Mit seinem erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Hilfsantrag erstrebt er die Verurteilung der Beklagten, sein Angebot auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags über den 31.12.2017 hinaus unter näher bezeichneten Maßgaben anzunehmen. In rechtlicher Hinsicht streiten die Parteien erstens um die Frage, ob eine wirksame sachgrundlose Befristung vorliegt, und zweitens um die Frage, ob die Beklagte Ende 2017 den Kläger in den Kreis derjenigen 100 Arbeitnehmer hätte einbeziehen müssen, denen sie eine unbefristete Beschäftigung angeboten hat.
Der Kläger ist am 00.00.1988 geboren. Seit dem 21.07.2014 war er in R. bei der Beklagten, die Mitglied des Arbeitgeberverbands Südwestmetall ist, auf der Grundlage mehrerer befristet vereinbarter Arbeitsverträge als Montage-Anlagenbediener beschäftigt. Er ist seit dem 21.07.2014 Mitglied der IG Metall (vgl. Seite 1 des Protokolls vom 30.07.2019). Der Kläger hat eine Ausbildung als Klempner (vgl. Gesellenbrief der Handwerkskammer Ulm vom 24.02.2011, Anlage K 9, Blatt 23 LAG-Akte). Er ist behinderter Mensch mit GdB 20.
Der erste Arbeitsvertrag der Parteien datiert vom 18.07.2014 und war gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG ohne Sachgrund bis zum Ablauf des 28.02.2015 befristet (Anlage K 1, Blatt 91 bis 97 ArbG-Akte).
Mit der "Vereinbarung zur Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages" vom 21.01.2015 wurde das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2015 verlängert (Anlage K 4, Blatt 111 bis 112 ArbG-Akte).
Mit der "Vereinbarung zur Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages" vom 19.06.2015 wurde das Arbeitsverhältnis bis zum 30.09.2015 verlängert (Anlage K 4, Blatt 113 bis 114 ArbG-Akte).
Mit der "Vereinbarung zur Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages" vom 18.09.2015 wurde das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2016 verlängert (Anlage K 4, Blatt 115 bis 116 ArbG-Akte).
Mit der "Vereinbarung zur Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages" vom 02.03.2016/ 19.03.2016 wurde das Arbeitsverhältnis bis zum 30.09.2016 verlängert (Anlage K 4, Blatt 117 bis 118 ArbG-Akte).
Mit der "Vereinbarung zur Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages" vom 01.08.2016/ 06.09.2016 wurde das Arbeitsverhältnis bis zum 28.02.2017 verlängert (Anlage K 4, Blatt 119 bis 120 ArbG-Akte).
Die letzte und hier streitgegenständliche "Vereinbarung zur Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages" datiert vom 06.02.2017 und war seitens der Beklagten bereits unterschrieben, als der Kläger sie am 15.02.2017 unterschrieb (Anlage B 8, Blatt 44 bis 45 LAG-Akte, künftig: ArbV 2017). Mit dieser Vereinbarung sollte das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2017 verlängert werden. Ob dies rechtswirksam geschah...