Entscheidungsstichwort (Thema)
Inhalt der Rechte der Schwerbehindertenvertretung im Falle der Verhindung der Vertrauensperson nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX oder der Verhinderung des zur Aufgabenerledigung stellvertretenden Mitglieds nach § 95 Abs. 1 Satz 4 SGB IX
Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelung des § 95 Abs. 1 Satz 4 SGB IX schließt es nach ihrem Sinn und Zweck nicht aus, dass die Schwerbehindertenvertretung im Falle der Verhinderung des stellvertretenden Mitglieds mit der höchsten Stimmenzahl (1. Stellvertreter) das verfügbare stellvertretende Mitglied mit der nächsthöchsten Stimmenzahl zur Erledigung bestimmter Aufgaben heranziehen kann.
2.Dieses Recht steht auch dem stellvertretenden Mitglied der Schwerbehinderten-vertretung für die Dauer seiner Stellvertretung bei Verhinderung der Vertrauens-person zu.
3.Zur Frage der Behinderung der Vertrauensperson nach § 96 Abs. 2 SGB IX gelten dieselben Grundsätze, die zur Verbotsnorm des § 78 Satz 1 BVG entwickelt worden sind. Dies gilt auch zugunsten der Schwerbehindertenvertretung im Geltungsbereich des PersVG Berlin. Danach kann der Schwerbehindertenvertretung gegenüber dem Arbeitgeber ein Anspruch auf Unterlassung der Behinderung beim Einsatz von stell-vertretenden Mitgliedern in Vertretungsfällen zustehen, wenn die Wiederholungs-gefahr nicht ausgeschlossen werden kann. Erklärungen von Fachvorgesetzten der stellvertretenden Mitglieder, die objektiv dazu geeignet sind, diese von der Ver-tretungstätigkeit abzuhalten, können eine unzulässige Behinderung darstellen.
Normenkette
SGB IX § 94 Abs. 1 S. 1, Abs. 7 S. 4, § 95 Abs. 1 S. 4, § 96 Abs. 2-3, 4 S. 4, § 98; BVG § 78 S. 1; PersVG Berlin § 28 Abs. 1, § 44; BPersVG § 107; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Beschluss vom 25.10.2002; Aktenzeichen 93 BV 18270/02) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. Oktober 2002 – 93 BV 18270/02 – teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 1) berechtigt ist, im Falle der Verhinderung des ersten Stellvertreters der Vertrauensperson oder der Verhinderung der Vertrauensperson selbst den nächstverfügbaren Stellvertreter bzw. die nächst verfügbare Stellvertreterin mit der nächst höchsten Stimmenzahl zur Aufgabenerledigung nach § 95 Abs. 1 Satz 4 SGB IX bei Erforderlichkeit heranzuziehen.
II. Die weitergehende Beschwerde der Beteiligten zu 1) im Umfang der gestellten Anträge zu 1, 3, 5 und 6 und die Beschwerde der Beteiligten zu 2) werden im Übrigen zurückgewiesen.
III. Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligte zu 2) zugelassen. Für die Beteiligte zu 1) wird die Rechtsbeschwerde zugelassen, soweit deren Anträge zu 1, 3 und 5 zurückgewiesen worden sind.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über den Inhalt und Umfang der Rechte der bei der Beklagten zu 2) in dem von ihr betriebenen Klinikum gebildeten Schwerbehindertenvertretung, der Beteiligten zu 1) in Bezug auf die Vertretung bei Verhinderung der Vertrauensperson oder des nach § 95 Abs. 1 Satz 4 SGB IX zu bestimmten Aufgaben herangezogenen stellvertretenden Mitglieds.
Anlässlich der im Jahre 2000 durchgeführten Wahl wurden neben der Vertrauensperson (Vertrauensmann C.) das stellvertretende Mitglied (Herr R., „1. Stellvertreter”) sowie nach Maßgabe der Anzahl der jeweils abgegebenen Stimmen fünf weitere stellvertretende Mitglieder der Beteiligten zu 1) gewählt. Diese ist für ihren Bereich, das Klinikum, für ca. 300 schwer behinderte Menschen zuständig.
Die Vertrauensperson ist für die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung freigestellt. Sie ist daneben Gesamtbehindertenvertrauensperson im Bereich der Beteiligten zu 2) und in diesem Rahmen für insgesamt 570 schwer behinderte Menschen zuständig. Der 1. Stellvertreter ist Mitglied im Personalrat des Klinikums und im Gesamtpersonalrat bei der Beteiligten zu 2).
Die Vertrauensperson zieht ihren 1. Stellvertreter gemäß § 95 Abs. 1 Satz 4 SGB IX ständig zur Erledigung bestimmter Aufgaben heran.
In der Zeit des Urlaubs des 1. Stellvertreters beabsichtigte die Vertrauensperson, das stellvertretende Mitglied I. für die Dauer vom 6. Juni bis zum 8. Juni 2001 zur Vertretung der Beteiligten zu 1) heranzuziehen, was sie der Pflegedirektion unter dem 5. Juni 2001 mitteilte; Frau I. sollte danach Aufgaben im Schwerbehindertenbüro erledigen, die die Vertrauensperson wegen anderer Tätigkeiten selbst nicht würde wahrnehmen können. Die Pflegedirektorin antwortete im Schreiben vom 5. Juni 2001 mit dem Hinweis darauf, dass Frau I. die Tätigkeit der Stellvertretung aus dienstlichen Gründen nicht mehr wahrnehmen könne. Dies führte dazu, dass Frau I. nur am 6. Juni 2001 das Amt der Stellvertreterin wahrnahm und sodann auf Weisung des Schwerbehindertenbeauftragten der Beteiligten zu 2) (Herr K.) seit dem 7. Juni 2001 wieder ihrer dienstlichen Tätigkeit nachging. In einem diesen Vorgang betreffenden Schreiben des Schwerbehindertenbeauftragten der Beteiligten zu 2) vom 5. Juni 2001 stellte sich dieser auf den Standpunkt...