Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg bei Durchgriffshaftung
Leitsatz (amtlich)
Zur Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bei Inanspruchnahme der ausländischen Muttergesellschaft einer deutschen GmbH, bei welcher der Arbeitnehmer beschäftigt war, als Arbeitgeber bzw. aufgrund Durchgriffshaftung im sog. qualifiziert faktischen Konzern.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Lit.a, § 3; GVG § 17 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Beschluss vom 21.02.1996; Aktenzeichen 37 Ca 20664/95) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. Februar 1996 – 37 Ca 20664/95 – aufgehoben.
2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
3. Die weitere sofortige Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
1. Der Kläger nimmt die Beklagte als Muttergesellschaft der in Konkurs gefallenen … auf Zahlung von Arbeitsentgelt in Anspruch. Dabei stützt er sein Begehren zum einen darauf, als Arbeitnehmer der Beklagten lediglich zu deren Tochtergesellschaft abgeordnet gewesen zu sein, und zum anderen auf eine konzernrechtliche Ausfallhaftung.
Das Arbeitsgericht Berlin hat unter Zurückstellung der Frage der internationalen Zuständigkeit den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe ausweislich des Einstellungsschreibens vom 19. April 1993 (Ablichtung Bl. 4 d.A.) in einem Arbeitsverhältnis zur Tochtergesellschaft der Beklagten gestanden. Für die Annahme eines eigenen Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten bleibe daher kein Raum. Ein Anspruch aus Konzernhaftung entsprechend §§ 302, 303 AktG sei nicht arbeitsrechtlicher, sondern aktienrechtlicher Natur.
2. Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG statthafte sofortige Beschwerde des Klägers ist fristgemäß und formgerecht beim Arbeitsgericht eingelegt worden (§§ 569 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1, 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 78 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Sie ist auch sachlich begründet.
2.1 Soweit der Kläger die Beklagte als seinen Arbeitgeber in Anspruch nimmt, ergibt sich die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 Lit. a ArbGG. Es handelt sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit aus einem Arbeitsverhältnis. Der Kläger war Arbeitnehmer, da er als Finanzbuchhalter fremdbestimmte Arbeit zu leisten hatte. Ob gerade die Beklagte sein Arbeitgeber war, diese mithin passivlegitimiert ist, stellt keine Frage des Rechtswegs dar, sondern betrifft erst die Begründetheit der Klage.
2.2 Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen erstreckt sich auch auf die Inanspruchnahme der Beklagten durch den Kläger im Wege der konzernrechtlichen Durchgriffshaftung.
2.2.1 Es spricht viel dafür, bereits die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 3 Lit. a ArbGG als erfüllt anzusehen, indem man die im Wege der Durchgriffshaftung in Anspruch genommene Muttergesellschaft so behandelt, als sei sie selbst und nicht ihre nur formell als Vertragspartner des Arbeitnehmers fungierende Tochter dessen Arbeitgeber. Wenn dies für einen auf Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten beruhenden Haftungsdurchgriff zu gelten hat (dafür Grunsky, Anm. zu BAG AP § 3 ArbGG 1979 Nr. 2 zu 1 b, bb), so kann sich bei mißbräuchlicher Ausübung von Konzernleitungsmacht im sog. qualifiziert faktischen Konzern nichts anderes ergeben, weil dafür abhängige Gesellschaft und herrschendes Unternehmen ertrags- und vermögensmäßig zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefaßt werden (dazu BAG, Urteil vom 15.1.1991 – 1 AZR 94/90 – AP § 113 BetrVG 1972 Nr. 21 zu II 2 b, aa d.Gr.).
2.2.2 Jedenfalls erscheint in einer solchen Konstellation eine analoge Anwendung des § 3 ArbGG geboten.
Indem nach § 3 ArbGG die in §§ 2 und 2a ArbGG begründete ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auch in den Fällen bestehen soll, in denen der Rechtsstreit durch einen Rechtsnachfolger oder eine Person geführt wird, die kraft Gesetzes anstelle des sachlich Berechtigten oder Verpflichteten hierzu befugt ist, hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß über Ansprüche arbeitsrechtlicher Natur nicht Gerichte verschiedener Gerichtsbarkeiten entscheiden sollen, auch wenn der Streit nicht zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses selbst ausgetragen wird. Danach kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Schuldner einer Verbindlichkeit aus dem Arbeitsverhältnis wechselt oder ein Dritter als Schuldner derselben Verbindlichkeit neben den Arbeitgeber tritt BAG, Urt. vom 11.11.1986 – 3 AZR 186/85 – BAGE 53, 317, 321 = AP § 3 ArbGG 1979 Nr. 2 zu B II 2 d.Gr.; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., 1995, § 3 R 10; offenbar sogar für direkte Anwendung Hauck, ArbGG, 1996, § 3 R 7). Zudem kommt die Durchgriffshaftung einer Rechtsnachfolge noch dadurch nahe, daß sie überhaupt erst subsidiär (nachgehend) zum Tragen kommt, wenn die eigentlich haftende Gesellschaft aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfolgreich in Anspruch genommen werden kann (...