Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff Schulungs- und Bildungsveranstaltung im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG. Abgrenzung zum Sachverständigen nach dem BetrVG
Leitsatz (amtlich)
1. Schulungs- und Bildungsveranstaltungen im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG können auch speziell nur für Betriebsratsmitglieder eines bestimmten Betriebes durchgeführt werden.
2. Der aus dem Prozeßrecht abgeleitete Sachverständigenbegriff des § 80 Abs. 3 BetrVG muß weit interpretiert werden.
3. Zur Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers nach § 40 Abs. 1 BetrVG.
Normenkette
BetrVG § 37 Abs. 6, §§ 40, 80 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 11
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Beschluss vom 03.03.1992; Aktenzeichen 27 BV 286/91) |
Tenor
Auf die befristete Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen der Beschluß des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. März 1992 – 27 BV 286/91 – teilweise wie folgt abgeändert:
- Die Beteiligte zu 2) wird verpflichtet, den Beteiligten zu 1) von dem gegen ihn gerichteten Anspruch in Höhe von DM 2.140,– freizustellen.
- Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Dem bei der Antragsgegnerin, die hauptsächlich Pralinen herstellt, bestehenden Betriebsrat, dem Beteiligten zu 1), gehören fünf Mitglieder an, von denen zwei seit 1978, ein Mitglied seit 1981, ein weiteres Mitglied seit 1984 und die Arbeitnehmerin … seit 1990 Betriebsratsaufgaben wahrnehmen. Im Betrieb der Antragsgegnerin erfolgt die Entlohnung der Arbeitnehmer im Zeitlohnsystem. Der Antragsteller stellte seit längerer Zeit Überlegungen an, das Zeitlohnsystem zugunsten eines Prämienlohnsystems zu ändern. Deshalb begehrte er von der Antragsgegnerin im Wege eines arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahrens die Vorlage von Produktionszetteln für den Zeitraum von etwa einem Jahr. Durch Beschluß vom 20. September 1990 bestätigte das Bundesarbeitsgericht – 1 ABR 74/89 – die erstinstanzliche Entscheidung, daß die Antragsgegnerin den Betriebsrat die zwischen dem 1. Januar 1987 und dem 31. März 1988 bei jeder Produktion erstellten Produktionszettel zur Verfügung zu stellen habe. In einem weiteren rechtskräftigen Beschlußverfahren vor dem Arbeits- und Landesarbeitsgericht Berlin erstritt der Betriebsrat den Zugang eines Arbeitsstudienfachmannes und Mitarbeiters der Hauptverwaltung der Gewerkschaft … den Produktionsräumen im Betrieb der Antragsgegnerin, um beobachtende Untersuchungen der Arbeitsabläufe an den Überziehanlagen und Packbändern durchzuführen.
Nachdem der Betriebsrat beschlossen hatte, daß sich alle Mitglieder die notwendigen Kenntnisse aneignen sollten, um die erhaltenen Informationen verarbeiten zu können, bot die
Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen e.V. (FORBA) auf Antrage des Beteiligten zu 1) mit Schreiben vom 28. Januar 1991 ein Seminar „Einführung in die Grundlagen einer Leistungsentlohnung und die Beteiligungsrechte des Betriebsrates” an, wobei für das zweitägige Seminar am 6. und 7. März 1991 unabhängig von der Teilnehmerzahl 2.500,– DM pro Seminartag zuzüglich Mehrwertsteuer zu zahlen sei. Der Inhalt des Seminars wird wie folgt beschrieben:
- „Entlohnungsgrundsätze
- Überblick über Lohnformen
- Formen einer Leistungsentlohnung
- Typische Probleme bei der Einführung eines Leistungslohnsystems
- Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei der Gestaltung eines Leistungslohnsystems
- Regelungsinhalte von einschlägigen Betriebsvereinbarungen
- Diskussion spezieller Gegebenheiten der betroffenen Firma”
In seiner Sitzung am 28. Januar 1991 beschloß der Betriebsrat die Teilnahme all seiner Mitglieder an dem obengenannten Seminar und teilte seine diesbezügliche Entscheidung der Beteiligten zu 2) mit Schreiben vom 4. Februar 1991 mit. Der Arbeitgeber lehnte sowohl die Durchführung des Seminars als auch die Kostentragung dafür ab und beantragte am 26. Februar 1921 beim Arbeitsgericht Berlin den Erlaß einer einstweiligen Verfügung das Inhaltes, die Durchführung des fraglichen Seminars zu untersagen. Nachdem das Arbeitsgericht durch rechtskräftigen Beschluß vom 5. März 1991 – 27 BV Ga 10/91 – den Antrag zurückgewiesen hatte, nahmen die fünf Mitglieder des Betriebsrates am 6. und 7. März 1991 an dem obengenannten Seminar in Berlin teil, während das Aufbauseminar „Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Prämienlohnsystemes bei der Firma …” nicht durchgeführt wurde.
Die … stellte den bei der Antragsgegnerin bestehenden Betriebsrat Unkosten in Höhe von insgesamt 5.359,– DM einschließlich 7 % Mehrwertsteuer in Rechnung und bat um einen entsprechenden Kostenausgleich. Die Antragsgegnerin lehnte es jedoch ab, auf die ihr am 8. März 1991 überreichte Rechnung der vom 6. März 1991 Zahlungen zu leisten.
Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 1. August 1991 eingegangenen Antragsschrift hat der Antragsteller einen Freistellungsanspruch wegen der genannten Seminarkosten im Hinblick auf § 37 Abs. 6 BetrVG geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertraten, daß es sich bei dem Seminar um...