Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterscheidung zwischen Streit- und Gegenstandswert. Gegenstandswert bei fehlendem Streitwert. Geltung des § 33 RVG bei Nichtanwendung des § 32 RVG. Auslegung eines anwaltlichen Antrags auf Wertfestsetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Zu unterscheiden ist die Festsetzung eines Streitwertes nach § 63 Abs. 1 GKG von der eines Gegenstandswerts nach § 33 Abs. 1 RVG (zur Abgrenzung von Streitwert und Gegenstandswert auch: Ziemann, jurisPR-ArbR 21/2021 Anm. 8). Voraussetzungen und Rechtsfolgen unterscheiden sich, auch die im Rahmen des Festsetzungsverfahrens zu beteiligenden Personen. Die Festsetzung eines Gegenstandswerts kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Streitwerts nicht vorliegen oder Streitwert und Gegenstandswert auseinanderfallen.
2. Soweit ein für die Gerichtsgebühren maßgeblicher Wert vorhanden ist und sich die Gebühren des Rechtsanwalts nach diesem richten, kann der Rechtsanwalt nach § 32 Abs. 2 RVG iVm § 63 Abs. 1 GKG aus eigenem Recht beantragen, den für die Gerichtsgebühren und damit auch für seine Gebühren relevanten Streitwert gerichtlich festzusetzen. Nur wenn diese Voraussetzungen nach § 32 RVG für den Antrag nicht gegeben sind, steht dem Anwalt als ergänzende Möglichkeit der subsidiäre Weg nach § 33 RVG offen (vgl. BAG 30. November 1984 - 2 AZN 572/82 (B), zu B I 1 der Gründe).
3. Welchen der beiden Anträge die Prozessbevollmächtigten stellen wollen, ist dem Wortlaut des Antrags nicht immer eindeutig zu entnehmen. Da es einem Anwalt, der einen Antrag auf Wertfestsetzung stellt, letztlich darum geht, eine gerichtliche Wertfestsetzung zu erhalten, nach der er seine Gebühren berechnen kann, ist der Antrag dahin auszulegen, dass er den nach der Sachlage statthaften Antrag stellen wollte. Das ist der Antrag nach § 32 Abs. 2 RVG iVm § 63 Abs. 1 GKG, wenn sich die Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert richten (vgl. BAG 30. November 1984 - 2 AZN 572/82 (B), zu B I 1 der Gründe).
Normenkette
RVG §§ 32-33; GKG (2004) § 63; RVG § 33 Abs. 9
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 30.08.2021; Aktenzeichen 36 Ca 16586/18) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. August 2021 - 36 Ca 16586/18 - auf gehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Beklagtenvertreter wenden sich gegen den Ansatz eines Wertes für einen Feststellungsantrag in einem Beschluss des Arbeitsgerichts, mit dem es nach § 33 RVG einzelne Beträge zur Berechnung eines Gegenstandswerts errechnet hat.
Die Parteien haben über die Wirksamkeit einer Kündigung gestritten. Neben dem Kündigungsschutzantrag enthält die Klageschrift einen Antrag zu 3), mit dem die Klägerin Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits begehrt. Mit einem Antrag zu 4) aus einer Klageerweiterung hat die Klägerin Urlaubsabgeltung für 34 Tage in Höhe von 3.720 Euro geltend gemacht, mit dem Antrag zu 5) Verurteilung zur Zahlung von Urlaubsgeld in Höhe von 1.943 Euro (für die Jahre 2017 und 2018), mit dem Antrag zu 6) Differenzvergütung für die Monate Februar bis April 2018 in Höhe von 1.754,51 Euro, mit dem Antrag zu 7) eine Verzugspauschale in Höhe von 120 Euro und mit dem Antrag zu 8) die Zweitausfertigung eines Versicherungsvertrags bezüglich einer Direktversicherung. Mit dem Antrag zu 9) hat die Klägerin die Feststellung des Anspruchs auf Leistungen für den Fall des Eintritts eines Versorgungsfalls begehrt. Während des Rechtsstreits hat die Beklagte vor dem Hintergrund der Anträge zu 8) und zu 9) einen Betrag in Höhe von 50.231,40 Euro an die Klägerin gezahlt.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 30. August 2021 für den Antrag zu 1) 8.194,77 Euro, für den Antrag zu 4) 3.720 Euro, für den Antrag zu 5) 1.943 Euro, für den Antrag zu 6) 1.754,51 Euro, für den Antrag zu 8) 2.500 Euro und für den Antrag zu 9) 5.000 Euro angesetzt.
Die Beklagtenvertreter haben gegen den ihnen am 1. September 2021 zugestellten Beschluss mit einem bei dem Arbeitsgericht am 7. September 2020 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Der Antrag zu 9) sei nicht mit 5.000 Euro, sondern mit 10.046,20 Euro zu bewerten, dh 20 vH der Versicherungssumme. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1) Die Beschwerde ist schon deshalb begründet, weil das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss eine Wertfestsetzung nach § 33 RVG vorgenommen hat, obwohl die Beklagtenvertreter Streitwertfestsetzung beantragt haben. Festzusetzen gewesen wäre daher ein Gesamtstreitwert nach § 32 Abs. 1 RVG iVm. § 63 Abs. 1 GKG. Für einen Beschluss nach § 33 Abs. 1 RVG lagen die Voraussetzungen nicht vor, da sich die Anwaltsgebühren hier nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen.
a) Zu unterscheiden ist die Festsetzung eines Streitwertes nach § ...