Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenlast des Arbeitgebers für Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung nach Regelungen des Personalvertretungsrechtes. Eingeschränkte arbeitsgerichtliche Kontrolle bei kostenauslösenden Entscheidungen der Schwerbehindertenvertretung. Entscheidungsspielraum der Schwerbehindertenvertretung bei Inanspruchnahme von Bürokräften. Keine Beschränkung der Kostenerstattung zugunsten der Schwerbehindertenvertretung wegen fehlender Haushaltsmittel beim öffentlichen Arbeitgeber. Pflicht zum ergänzenden Haushalt bei fehlenden Mitteln zur Erstattung der Kosten der Schwerbehindertenvertretung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Arbeitgeberin hat die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entstehenden Kosten zu tragen, § 179 Absatz 8 Satz 1 SGB IX. Für öffentliche Arbeitgeber gelten danach die Kostenregelungen für Personalvertretungen entsprechend. Nach § 179 Absatz 8 Satz 3 SGB IX sind davon auch die Kosten der Bürokräfte der Schwerbehindertenvertretung erfasst.
2. Die Schwerbehindertenvertretung entscheidet - ebenso wie der Personalrat (zu § 40 PersVG Berlin vgl. Germelmann/Binkert § 40 PersVG Berlin Rn. 8) - selbstständig und eigenverantwortlich, was insoweit erforderlich und vertretbar ist.
3. Die Entscheidung der Schwerbehindertenvertretung unterliegt der arbeitsgerichtlichen Kontrolle. Diese ist auf die Prüfung beschränkt, ob das geforderte Büropersonal im begehrten Umfang aufgrund der konkreten Situation in der Dienststelle der Erledigung gesetzlicher Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung dient und die Schwerbehindertenvertretung bei ihrer Entscheidung nicht nur die Interessen der Belegschaft berücksichtigt, sondern auch den berechtigten Belangen des Arbeitgebers Rechnung getragen hat (vgl. BAG 20. April 2005 - 7 ABR 14/04, Rn. 13, zur vergleichbaren Konstellation bei § 40 BetrVG).
4. Im Interesse der nach § 182 Abs. 1 SGB IX zu wahrenden engen Zusammenarbeit ist die Schwerbehindertenvertretung gehalten, sich vor der eigenen Heranziehung von Bürodienstleistern mit dem Arbeitgeber ins Benehmen zu setzen. Erst wenn dieser die berechtigte Forderung nach Unterstützung durch eigenes geeignetes Büropersonal ablehnt, ist der Weg zur Beauftragung auf Kosten des Arbeitgebers frei (LPK-SGB IX/Düwell, 6. Aufl. 2022, SGB IX § 179 Rn. 114).
5. Die durch die Schwerbehindertenvertretung insoweit zu treffende Entscheidung betrifft nicht nur die Frage, wie viele Bürokräfte benötigt werden, sondern auch den Gesichtspunkt, über welche Qualifikation die Bürokräfte für die Tätigkeit für die Schwerbehindertenvertretung verfügen müssen.
Die Schwerbehindertenvertretung hat - ebenso wie die Personalvertretung - einen Anspruch auf Zurverfügungstellung geeigneten Büropersonals. Dazu gehört es auch, das Büropersonal im erforderlichen Umfang zu qualifizieren, soweit dafür Bedarf besteht. Durch den Arbeitgeber sind die dazu notwendigen Kosten zu tragen.
6. Der Dienststellenleiter darf die Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen, welche die Schwerbehindertenvertretung durch die Wahrnehmung der ihr obliegenden Aufgaben verursacht hat, nicht ohne weiteres mit der Begründung verweigern, die dafür vorgesehenen Haushaltsmittel seien erschöpft (vgl. BVerwG 24. November 1986 - 6 P 3/85, Rn. 17).
7. Der öffentliche Arbeitgeber hat insoweit die Möglichkeit, das im Haushaltsplan für die Schwerbehindertenvertretung anzusetzende Budget rechtzeitig mit der Schwerbehindertenvertretung abzusprechen. Hat er das nicht getan, wird der Begründungsaufwand regelmäßig im Einzelfall für den Arbeitgeber größer sein, wenn er eine konkrete Maßnahme unter Bezugnahme auf den Haushaltsplan ablehnen will.
8. Es kann aber auch ein unbedachter oder aufgrund der besonderen Umstände zuvor nicht absehbarer Bedarf entstehen. Gegebenenfalls wir dann eine Ergänzung zu beantragen sein. Dies ändert nichts daran, dass die aus § 179 Absatz 8 Satz 3 SGB IX folgende Verpflichtung zu erfüllen ist (vgl. OVG Sachsen-Anhalt 20. August 2000 - A 5 S 4/99, Rn. 20).
Normenkette
SGB IX §§ 179, 182; PersVG BE § 40; BetrVG § 40; GG Art. 20; GKG § 2 Abs. 2; SGB IX § 179 Abs. 4, 8
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.05.2022; Aktenzeichen 56 BV 8825/21) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. Mai 2022 - 56 BV 8825/21 - abgeändert und der Arbeitgeberin aufgegeben, die Schwerbehindertenvertretung von den für die Teilnahme der Mitarbeiterin Ines A an der von Ver.di b+b vom 7. bis 9. April 2021 online durchgeführten Schulung "Speziell für Sekretäriatsmitarbeiter:innen: Organisation des Datenschutzes im Büro der gesetzlichen Interessenvertretung (Grundlagen)" angefallenen Kosten in Höhe von 870 Euro (Rechnung vom 16. April 2021) freizustellen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten darüber, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, die Schwerbehindertenvertretung von Seminargebühren freizustellen, welche durch die Teilnahme ihrer Bürokraft Frau A an dem Online-Sem...