Entscheidungsstichwort (Thema)
Schmerzensgeld wegen Verletzung der Treue- und Fürsorgepflichten. Schmerzensgeld wegen persönlichkeitsverletzender Personalaktenführung. Anforderungen an Erfolgsaussichten bei Prozesskostenhilfe wegen Schmerzensgeldansprüchen. Prozesskostenhilfe für in der Höhe vertretbare Schmerzensgeldansprüche
Leitsatz (redaktionell)
1. Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebieten eine weitestgehende Angleichung der Situation der Menschen mit unterschiedlichen finanziellen Voraussetzungen bei der Verwirklichung von Rechtsschutz.
2. Die Fachgerichte überschreiten in Anwendung und Auslegung des § 114 ZPO ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an die Erfolgsaussichten überspannen und den Zweck der Prozesskostenhilfe damit deutlich verfehlen.
3. Einer Schmerzensgeldklage wegen persönlichkeitsverletzender Personalaktenführung ist Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn ein Betrag in einem noch vertretbaren Rahmen gefordert wird.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; ZPO § 114 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Entscheidung vom 23.09.2021; Aktenzeichen 1 Ca 175/20) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 27. Oktober 2021 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Brandenburg a.d. H. vom 23. September 2021 - 1 Ca 175/20 - abgeändert und der Klägerin Prozesskostenhilfe für den Antrag zu X. im Umfang von 85.000,00 EUR bewilligt.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin hatte mit Klage vom 12. März 2020 neben verschiedenen anderen Anträgen im Antrag zu X. beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an die Antragstellerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, dessen Höhe im Ermessen des Gerichts liege, welches den Betrag von 85.000,00 EUR allerdings nicht unterschreiten sollte.
Begründet wurde dieser Antrag mit einer Verletzung der Treue- und Fürsorgepflicht des beklagten Landes entsprechend den Ausführungen unter 5a) "Schmerzensgeld 'an sich'" auf den Seiten 23-26 der Klageschrift (Bl. 89-92 d.A.). Eine ergänzende Begründung erfolgte im Schriftsatz der Klägerin vom 4. August 2020 auf den Seiten 4-6 (Bl. 476-478 d.A.). Konkret ging die Antragstellerin von folgenden Sachverhalten/Beträgen aus:
- 9 × 5000,00 EUR für die Aufnahme der verschiedenen Vermerke, der Gleitzeitstundenliste, des Schriftverkehrs bezüglich der Entfernung der Vermerke sowie des Schriftverkehrs in Bezug auf die beantragte Akteneinsicht in die Personalakte
- 1 x 10.000,00 EUR für den sexuellen Übergriff im August 2019 und das anschließende Täter-Opfer-Umkehr (victim blaming)
- 2 × 5000,00 EUR für die beiden rassistischen Diskriminierungen
- 2 x 10.000,00 EUR für die Suizidversuche und die Krankschreibung wegen Mobbings sowie die Gefahr der Chronifizierung der Depression
Der in diesem Beschwerdeverfahren relevante Antrag der Antragstellerin wurde von den ursprünglichen Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit römischen Ziffern, mithin hier "X." und von den derzeitigen Prozessbevollmächtigten mit arabischen Ziffern, mithin "10." bezeichnet.
Mit einem Teilurteil vom 6. Mai 2021 sprach das Arbeitsgericht der Antragstellerin eine Entschädigung in Höhe von 2.668,68 EUR nebst Zinsen zu. Dieses Teilurteil wurde den Vertretern der Antragstellerin am 17. September 2021 zugestellt. Mit Beschluss vom 23. September 2021 bewilligte das Arbeitsgericht der Antragstellerin neben der Prozesskostenhilfe für andere Anträge für den Antrag zu X. Prozesskostenhilfe in Höhe von 10.000 EUR und wies den weitergehenden Antrag (zu X.) zurück. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus:
Für den Antrag zu X liegen die Voraussetzungen mit einem Streitwert von 5.000 EUR vor.
Für die Höhe des vom Antragsteller geltend gemachten Schadenersatzanspruchs über einen Streitwert von 5.000 EUR hinaus besteht keine hinreichende Erfolgsaussicht.
Zum einen hat der Kläger die von ihm erhobenen Mobbingvorwürfe zu ausländerfeindlichen Äußerungen und zu einer sexuellen Belästigung nicht durch entsprechende Tatsachenvorträge begründet.
Zum anderen rechtfertigen die weiteren Vorwürfe im Zusammenhang mit der Aufnahme von Gedächtnisprotokollen und Schriftverkehr in die Personalakte des Antragstellers keinen über 5.000 EUR hinausgehenden Schadenersatzanspruch. Der Antragsteller war nach dreijähriger erfolgreicher Ausbildung bi dem Beklagten im Zeitpunkt des Streits über die Entfernung der Unterlagen aus der Personalakte 5 Monate beschäftigt. Ein höherer immaterieller Schadenersatzanspruch wäre auch bei bewusstem rechtswidrigen Handeln des Beklagten vorliegend nicht gerechtfertigt.
Gegen diesen den Vertretern der Antragstellerin am 27. September 2021 zugestellten Beschluss legten diese am 27. Oktober 2021 eine sofortige Beschwerde ein. Dieser sofortigen Beschwerde half das Arbeitsgericht entsprechend einem Schreiben an die Antragstellerinvertreter vom 28. Oktober 2021 (Bl. P80 d.A.) ohne irgendeine Begründung ni...