Entscheidungsstichwort (Thema)
"Gegenstand" i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Bildung eines Gesamtgegenstandswerts nach Bewertung der einzelnen Anträge. Zusammenrechnung von Kündigungsschutzanträgen. Kostenrechtliche Betrachtung eines Auflösungsvergleichs mit mehreren Beendigungstatbeständen. Bewertung eines Beendigungsvergleichs ohne begleitende Leistungen des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Berechnung des Gegenstandswerts sind zunächst die einzelnen Anträge zu bewerten. Sodann ist ein Gesamtgegenstandswert zu bilden. Bei der Bildung des Gesamtgegenstandswerts ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Werte für die einzelnen Anträge zusammenzurechnen sind.
2. Bei der Frage, ob und in welchem Umfang Kündigungsschutzanträge zusammenzurechnen sind, kommt es darauf an, ob und inwieweit über sie entschieden worden ist oder sie Gegenstand eines Vergleichs geworden sind. Außerdem ist zu berücksichtigen, inwieweit wirtschaftlich derselbe Streitgegenstand betroffen ist.
3. Auch wenn die Parteien sich nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem mit einer vorsorglichen Kündigung vorgesehenen Beendigungstermin einigen, kann oft davon ausgegangen werden, dass in einem Auflösungsvergleich sämtliche in das Verfahren eingeführte Beendigungstatbestände mitgeregelt worden sind. Gegenstand der Vergleichsverhandlungen sind meist alle Beendigungstatbestände. Der gewählte Beendigungszeitpunkt wirkt sich im Rahmen des "Gesamtpakets" aus, in das meist sämtliche Beendigungstatbestände als wertbildende Faktoren einfließen und damit jedenfalls materiell im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 iVm. Abs. 4 GKG mit geregelt werden
4. Regelmäßig anders sind die Fälle zu bewerten, in denen sich die Parteien - wie hier - auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem früheren Kündigungstermin einigen, ohne dass nennenswerte sonstige Leistungen seitens des Arbeitgebers in dem Vergleich (Gesamtpaket) enthalten sind.
Leitsatz (redaktionell)
Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich um einen selbstständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert. Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht.
Normenkette
GKG §§ 42, 39, 45; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.09.2021; Aktenzeichen 29 Ca 12308/20) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. September 2021 - 29 Ca 12308/20 - abgeändert und der Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich auf 13.860,15 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien haben ua über die Wirksamkeit von zwei Kündigungen gestritten, die zum 30. November 2020 und zum 30. April 2021 ausgesprochen worden waren. Die Parteien haben einen Vergleich geschlossen, in dem sie sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2020 geeinigt und eine Abfindung vereinbart haben, die die Klägerin als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden dürfe. Außerdem haben sie Feststellungen zu Annahmeverzugsansprüchen als Masseverbindlichkeiten getroffen.
Das Arbeitsgericht hat bei der Berechnung des Gegenstandswerts für jede Kündigung ein Vierteljahreseinkommen angesetzt.
Die Landeskasse begehrt im Rahmen der Beschwerde die Herabsetzung des Gegenstandswerts auf ein Vierteljahreseinkommen, da die Folgekündigung mit einem Hilfsantrag angegriffen worden sei, über den nicht entschieden worden und die auch nicht zum Gegenstand des Vergleichs gemacht worden sei.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Werte für die Kündigungsschutzanträge sind nicht zusammenzurechnen.
1) Zur Berechnung des Gegenstandswerts sind zunächst die einzelnen Anträge zu bewerten. Sodann ist ein Gesamtgegenstandswert zu bilden. Bei der Bildung des Gesamtgegenstandswerts ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Werte für die einzelnen Anträge zusammenzurechnen sind.
In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist, § 39 Abs. 1 GKG. Die Werte von Haupt- und Hilfsanträgen sind zusammenzurechnen, soweit auch über den Hilfsantrag eine Entscheidung ergeht, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG, oder der Rechtsstreit auch insoweit durch Vergleich erledigt wird, § 45 Abs. 4 GKG. Dies gilt allerdings wiederum dann nicht, wenn die Anträge denselben Gegenstand betreffen; dann ist nur der höhere Wert maßgebend, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Unter dem Begriff "Gegenstand" in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist nicht der Streitgegenstand iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu verstehen. Der "Gegenstand" iSd. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist nicht mit dem Streitgegenstand in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO identisch. Ob unterschiedliche (prozessuale) Streitgegenstände vorliegen, ist danach für die Frage des Additionsverbots nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG unerheblich (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 14. Dezember 2018 - 26 Ta (Kost) 6136/18, Rn. 6). Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich vie...