Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung Sachbezogenheit bei werkvertraglicher Anweisung. Personenbezogenheit bei arbeitsrechtlicher Weisungsbefugnis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Beschäftigung von nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz überlassener Arbeitnehmer*innen stellt immer eine Einstellung im Sinne des § 99 Absatz 1 BetrVG dar.

2. § 1 Absatz 1 Satz 2 AÜG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vom 21. Februar 2017 (BGBl. I S. 258) hat an der von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und anderen Formen des Fremdpersonaleinsatzes aufgrund vertraglicher Regelung zwischen den Unternehmen nichts geändert.

Maßgeblich ist, ob die Arbeitenehmer*innen eines Fremdunternehmens in die Arbeitsorganisation des Einsatzunternehmens eingegliedert sind und dessen Weisungen unterliegen.

3. Eine (verdeckte) Arbeitnehmerüberlassung liegt auch dann vor, wenn Steuerungsysteme gewählt werden, durch die der äußere Anschein eines Werk- oder Dienstvertrages gewahrt wird, der Einsatz des Fremdpersonals tatsächlich aber durch das Einsatzunternehmen gesteuert wird.

4. Für eine Steuerung durch das Einsatzunternehmen spricht, wenn sich das Fremdunternehmen verpflichtet, Arbeitsanweisungen des Einsatzunternehmens ohne Einschränkung an seine Arbeitnehmer*innen weiterzugeben und wenn die Art der Ausführung der Tätigkeit vertraglich so festgelegt ist, dass die Festlegungen über Weisungen im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages hinausgehen und dem Fremdunternehmen kein nennenswerter eigener Gestaltungsspielraum mehr verbleibt.

 

Normenkette

BetrVG § 99 Abs. 1, § 101; BGB §§ 631, 611; AÜG § 1 Abs. 1; BGB § 645 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 26.11.2018; Aktenzeichen 19 BV 11638/18)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. November 2018 - 19 BV 11638/18 - teilweise abgeändert:

Der Antrag zu XLVIII. wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Beteiligungsrechts nach § 99 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) im Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal im Kassenbereich eines Warenhauses.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) betreibt bundesweit mehrere Warenhäuser, darunter das Warenhaus am K. 231 mit sechs Etagen á 3.500 qm. Die Arbeitgeberin beschäftigt dort etwa 170 Arbeitnehmer*innen in einem Gesamtumfang von etwa 60 Vollzeitstellen. Der Betriebsrat und Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Betriebsrat) ist der für den Betrieb des Warenhauses gebildete Betriebsrat.

Am 23. Mai 2017 informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat darüber, dass aufgrund der Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) geplant sei, die Kassentätigkeiten im Rahmen eines Werkvertrages fremdzuvergeben. Bis dahin waren an den Kassen eigene Arbeitnehmer*innen oder Leiharbeitnehmer*innen der In-T. P. GmbH in einem 2015 eingeführten Kassenserviceteam (KST) eingesetzt. Mit Schreiben vom 12. Juni 2017 forderte die Arbeitgeberin den Betriebsrat zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich auf. Am 2. November 2017 erklärte die im Wege eines gerichtlichen Vergleichs gebildete Einigungsstelle die Verhandlungen über den Interessenausgleich für gescheitert. Die Arbeitgeberin hielt an ihrem Vorhaben fest.

Am 5./8. Februar 2018 schloss die Arbeitgeberin mit der In-T. P. GmbH einen "Werkvertrag Kassenservice" über die Erbringung der Kassentätigkeiten mit Wirkung ab dem 1. März 2018. Wegen des Inhalts des Vertrages nebst Anlagen wird auf dessen Ablichtung (Blatt 82 ff. und 144 ff. der Akten) verwiesen. Ferner existiert eine schriftliche Anweisung mit Stand April 2018, in der sowohl für das Verkaufspersonal als auch für die Kassenkräfte detailliert geregelt ist, wie beim Umtausch oder der Rückgabe von Waren zu verfahren ist. Beispielsweise ist für den Umtausch oder die Rückgabe von Waren mit einem Warenwert von mehr als 150 Euro die schriftliche Genehmigung der Abteilungsleitung oder der "Erstkraft Verkauf" als stellvertretende Abteilungsleitung erforderlich. Wegen des weiteren Inhalts der Anweisung wird auf deren Ablichtung (Blatt 162 ff. der Akten) verwiesen. Ob die Kassenkräfte die Kunden*innen diesbezüglich an das Verkaufspersonal verweisen und sich, wenn keine Verkaufskraft zur Verfügung steht, an ihre Teamleitung wenden, die sich wiederum an die Filialgeschäftsführerin Frau G. oder den kaufmännischen Leiter des Warenhauses Herrn St. wenden, wie die Arbeitgeberin behauptet, oder häufig selbst bei der Abteilungsleitung oder der stellvertretenden Abteilungsleitung anrufen, wie der Betriebsrat behauptet, ist zwischen den Beteiligten streitig. Vor 18.00 Uhr sind auf den einzelnen Etagen bis zu fünf Verkaufskräfte und nach 18.00 Uhr bis zu zwei Verkaufskräfte tätig.

Anfang März 2018 wurde der Betriebsrat neu gewählt. Im Vorfeld der Betriebsratswahlen k...

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