Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Bewilligung der Prozesskostenhilfe bei unverschuldeter Versäumung einer Frist zur Nachreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aufgrund verzögerter Postbeförderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Gericht einer Prozesskostenhilfepartei die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb einer bestimmten Frist die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachzureichen und wird die Frist eingehalten, kann Prozesskostenhilfe grundsätzlich rückwirkend bis zum Zeitpunkt der Nachfristsetzung bewilligt werden.

2. Nach dem auch im Prozesskostenhilfeverfahren anwendbaren Rechtsgedanken des § 233 ZPO gilt dies auch dann, wenn die Prozesskostenhilfepartei ohne ihr Verschulden gehindert war, die Nachfrist einzuhalten, und die Erklärung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 ZPO bei Gericht eingeht. § 85 Abs. 2 ZPO findet Anwendung.

3. Innerhalb Berlins gilt eine Briefsendung als rechtzeitig abgesandt, wenn sie am Vortag des Fristablaufs in einen Briefkasten der Deutschen Post AG mit Spätleerung spätestens bis zur Spätleerung eingeworfen wurde.

 

Normenkette

ArbGG § 11a Abs. 1; ZPO § 114 S. 1, §§ 117, 233, 234 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 85 Abs. 2, § 114 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 05.02.2018; Aktenzeichen 18 Ca 15181/17)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im Übrigen der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Februar 2018 - 18 Ca 15181/17 - teilweise abgeändert:

Der Klägerin wird für die I. Instanz Prozesskostenhilfe in vollem Umfang mit Wirkung ab dem 18. Januar 2018 bewilligt.

Zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte in dieser Instanz wird der Klägerin Rechtsanwalt ........... beigeordnet.

Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, dass hinsichtlich der Prozesskosten monatliche Raten in Höhe von ...... Euro zu leisten sind.

II. Die Gerichtsgebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. In dem Beschwerdeverfahren wendet sich die frühere Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Klägerin) gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe.

In dem dem Prozesskostenhilfeverfahren zugrunde liegenden Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Berlin beantragte die Klägerin am 7. Dezember 2017 mit der Erhebung der Klage die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten und kündigte an, die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachzureichen. Im Gütetermin am 18. Januar 2018 schlossen die Parteien einen Vergleich, wobei sich beide Parteien den Widerruf des Vergleichs bis zum 2. Februar 2018 vorbehielten. Ferner wies die Vorsitzende darauf hin, dass die Prozesskostenhilfeunterlagen vor Ablauf der Widerrufsfrist eingegangen sein müssten, da andernfalls keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden könne. Der Vergleich wurde nicht widerrufen.

Mit auf den 1. Februar 2018 datiertem Schriftsatz reichte die Klägerin eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 19. Januar 2018 nebst Belegen ein und teilte mit, der Bescheid der Krankenkasse über das beantragte Krankengeld liege noch nicht vor. Der Schriftsatz ging beim Arbeitsgericht am 1. Februar 2018 vorab per Telefax um 18.11 Uhr ohne Anlagen ein. Das Original des Schriftsatzes mit den Anlagen ging hingegen erst am 5. Februar 2018 ein. Daraufhin hat das Arbeitsgericht den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin mit Beschluss vom 5. Februar 2018 wegen verspäteter Vorlage der Prozesskostenhilfeunterlagen zurückgewiesen. Der Beschluss ist der Klägerin am 13. Februar 2018 zugestellt worden.

Mit am 23. Februar 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 21. Februar 2018 hat die Klägerin gegen den Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt und vorsorglich Wiedereinsetzung in die Frist zur Abgabe der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beantragt. Ferner hat sie sinngemäß ausgeführt, soweit die Erklärung nebst Anlagen beim Arbeitsgericht erst nach dem 2. Februar 2018 eingegangen sei, sei dies ohne ihr Verschulden geschehen. Ihr Prozessbevollmächtigter habe am 1. Februar 2018 den auf den 1. Februar 2018 datierten Schriftsatz um kurz nach 18.00 Uhr an das Arbeitsgericht gefaxt. Anschließend habe er, da am Freitagnachmittag keine Bürokraft mehr im Büro anwesend gewesen sei, den Schriftsatz sowie die Erklärung nebst Anlagen kuvertiert, ordentlich frankiert und gegen 18.15 Uhr in den Briefkasten vor der nur etwa 30 m von seinem Büro entfernten Postfiliale P. A. 39 eingeworfen. Auf dem Briefkasten sei als Uhrzeit für die nächste Leerung 18.15 Uhr und für die übernächste Leerung 20.15 Uhr angegeben gewesen. Ferner befinde sich auf dem Briefkasten der Vermerk, dass bei einem Einwurf bis 20.15 Uhr die regelmäßige Zustellung für den nächsten Tag innerhalb des mit "10" beginnenden Postleitzahlbereichs zugesagt ...

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