Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterrichtungs- und Beratungsanspruch der Personalvertretung bei Stilllegung einer Luftfahrtgesellschaft im Insolvenzverfahren. Unbegründeter Eilantrag der Personalvertretung Kabine auf Vorlage von Informationen zur Verhandlung über einen Interessenausgleich bei ausreichender Unterrichtung durch die Arbeitgeberin. Unbegründeter Unterlassungsanspruch zur Sicherung des Verhandlungsanspruchs
Leitsatz (redaktionell)
1. § 80 des Tarifvertrages Personalvertretung für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG vom 30.05.2012 (TVPV) ist im Hinblick auf Betriebsstilllegungen mit § 111 BetrVG nahezu wortidentisch, so dass die Voraussetzungen, die für § 111 BetrVG gelten, auf § 80 TVPV übertragbar sind; § 111 BetrVG verlangt die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrats über die Betriebsstilllegung und die Beratung hierzu.
2. Die Unterrichtung des Betriebsrats gemäß § 111 BetrVG muss umfassend sein; die Arbeitgeberin hat die Gründe für die geplante Betriebsänderung sowie den Inhalt einer möglichen Maßnahme und die Auswirkungen auf die Beschäftigten darzulegen und einen Zeitplan zu benennen; der Betriebsrat muss sich von der geplanten Maßnahme und deren Auswirkungen ein vollständiges Bild machen können.
3. Hat die Arbeitgeberin zwischen zwei Alternativen gewählt, muss sie den Betriebsrat über beide Alternativen informieren und darlegen, worum sie sich für die beabsichtigte Maßnahme entschieden hat.
4. Der Betriebsrat ist auch über die sozialen Folgen der geplanten Betriebsänderung zu unterrichten.
5. Hat die Arbeitgeberin zuvor bereits den Wirtschaftsausschuss informiert, ist die Unterrichtung des Betriebsrates nicht entbehrlich; die Notwendigkeit einer Geheimhaltung ist kein Grund für eine Einschränkung der Unterrichtungspflicht.
6. Die Unterrichtungs- und die Beratungspflicht bezieht sich auf die konkret geplante Betriebsänderung; der Betriebsrat ist nicht berechtigt, jede wirtschaftliche Entscheidung der Arbeitgeberin zu überprüfen und mit der Arbeitgeberin zu diskutieren.
7. Ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats dient nur der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs und nicht der Untersagung der Betriebsänderung selbst; ist die Personalvertretung vollständig unterrichtet worden und liegt es einzig an ihr, ob Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen geführt werden, scheidet ein Unterlassungsanspruch zur Sicherung des Verhandlungsanspruchs aus.
Normenkette
ArbGG § 85 Abs. 2; InsO § 122; BetrVG §§ 111-112; ZPO §§ 935, 940; TVPV § 80
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 02.11.2017; Aktenzeichen 38 BVGa 13035/17) |
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 2. November 2017 - 38 BVGa 13035/17 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Personalvertretung Kabine (Antragstellerin, Beteiligte zu 1) verfolgt mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Vorlage von Informationen zur Verhandlung über einen Interessenausgleich und einen Unterlassungsanspruch gegenüber der Arbeitgeberin (Beteiligten zu 2), Flugzeuge aus dem Betrieb zu nehmen.
Die Personalvertretung Kabine ist die Personalvertretung für das Kabinenpersonal der Arbeitgeberin, der ehemals zweitgrößten Luftfahrtgesellschaft in Deutschland mit Sitz in Berlin. Bei der Arbeitgeberin waren zuletzt rund 6.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, davon rund 3.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Kabinenpersonals.
Bei der Arbeitgeberin bestehen mehrere Betriebsräte und Personalvertretungen. Gem. § 117 Abs. 2 BetrVG besteht für das fliegende Personal kein Betriebsrat, sondern aufgrund tariflicher Regelungen für das Cockpit-Personal die Personalvertretung Cockpit und für das Kabinenpersonal die Personalvertretung Kabine. Für das Kabinenpersonal gilt der Tarifvertrag Personalvertretung für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG vom 30.05.2012 (TVPV), abgeschlossen zwischen der Arbeitgeberin und der Gewerkschaft ver.di. (Bl. 44ff d. A.). Dort ist u. a. folgendes geregelt:
§ 80
Betriebsänderung
Die a. hat die Personalvertretung über die geplante Änderung des Flugbetriebes, die wesentliche Nachteile für das Kabinenpersonal insgesamt oder erhebliche Teile des Kabinenpersonals zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassen zu unterrichten und die geplanten Änderungen mit der Personalvertretung zu beraten. Die Personalvertretung kann zu ihrer Unterstützung einen Berater hinzuziehen. § 50 Abs. 4 gilt entsprechend; im Übrigen bleibt § 50 Abs. 3 unberührt.
Als Betriebsänderungen im Sinne des Satzes 1 gelten
1. Einschränkung und Stilllegung des ganzen Flugbetriebes oder von wesentlichen Teilen (Stationen, soweit dort mehr als 5 % des Kabinenpersonals insgesamt, mindestens aber 30 Arbeitnehmer des Kabinenpersonal betroffen sind);
2. Verlegung des Flugbetriebes oder von wesentlichen Flugbetriebsteilen, d. h. jede nicht nur geringfügige Veränderung der örtlichen Lage unter Weiterbeschäftigung des Kabinenpersonals;
3. Zusammenschluss mit anderen Lu...