Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der Kündigung bei Betriebsstilllegung eines Luftverkehrsbetriebes. Unwirksamkeit der Kündigung bei Betriebsübergang. Abgrenzung zwischen Betriebsstilllegung und Betriebsübergang. Wirtschaftliche Einheit bei einem Luftverkehrsbetrieb. Massenentlassungsanzeige und Interessenausgleich bei Kündigung. Auskunftsansprüche in Verhandlungen zum Interessenausgleich. Zuständiges Arbeitsamt für Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Luftverkehrsbetrieb gehören die eingesetzten Flugzeuge zu den wesentlichen Betriebsmitteln, deren Übergang als ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung des Vorliegens eines Betriebsübergangs anzusehen ist (vgl. EuGH 09.09.2015 - C-160/14). Die Flugzeuge sind aber nicht allein identitätsbestimmend.
Die Identität eines Flugbetriebs wird durch das Flugpersonal mitgeprägt, das für die ordnungsgemäße Durchführung des Flugzeuges unverzichtbar ist und das über eine bestimmte Ausbildung bzw. Qualifizierung verfügen muss sowie durch die erforderlichen Lizenzen und Genehmigungen (Anschluss an LAG Düsseldorf vom 17.10.2018 - 1 Sa 337/18).
2. Die tarifliche Regelung nach dem TV Pakt, wonach Kündigungen erst nach Abschluss eines Sozialtarifvertrags zulässig sind, ist eine Kündigungsbeschränkung, die in der Insolvenz durch § 113 InsO verdrängt wird.
3. Zur örtlichen Zuständigkeit der Arbeitsagentur für die Massenentlassungsanzeige.
4. Zum Nachteilsausgleich nach § 83 TV PV Kabine: Mit der Bildung von zwei Personalvertretungen für Cockpit und Kabine haben die Tarifvertragsparteien zwei unterschiedliche Betriebe, nämlich Cockpit und Kabine, definiert, für die die jeweilige Personalvertretung - alleine - zuständig ist. Der in § 83 TV PV Kabine geregelte Nachteilsausgleich ist auf die Durchführung einer Betriebsänderung, bezogen gerade und nur auf den Bereich Kabine, begrenzt.
Normenkette
KSchG §§ 1, 17; BGB § 613a; InsO § 113; BetrVG § 113; BGB § 623; KSchG §§ 4, 6
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 06.09.2018; Aktenzeichen 42 Ca 2159/18) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 06.09.2018 - 42 Ca 2159/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird für die Klägerin hinsichtlich des Nachteilsausgleichs zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die der beklagte Insolvenzverwalter mit einer Betriebsstilllegung begründet, hilfsweise über Ansprüche der Klägerin auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs. Die Klägerin beruft sich zur Unwirksamkeit der Kündigung zum einen auf formelle Mängel, zum anderen darauf, dass ein Betriebs(teil)übergang vorläge.
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. Berlin PLC Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden Schuldnerin). Bis zu ihrer Insolvenz war die Schuldnerin die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands mit einem Passagieraufkommen von rund 28 Millionen Personen im Jahr mit Sitz in Berlin, die unter ihrem Air Operator Certificate (AOC) von ihren Drehkreuzen in Düsseldorf und Berlin-Tegel Linien- und Charterflüge im gewerblichen Personenluftverkehr sowie Luftfrachtgeschäfte durchführte. Sie bediente mit Kurz- und Mittelstreckenmustern der Airbus 320-Familie (A319, A320 und A321) sowie Langstreckenflugzeugen des Musters Airbus A330-200 hauptsächlich Ziele in Europa, Nordafrika, Israel Nord- und Mittelamerika. Zur Bewältigung des Passagieraufkommens beschäftigte die Schuldnerin (Stand August 2017) 6.121 Arbeitnehmer, davon 1.318 Piloten, 3.362 Flugbegleiter sowie 1.441 Bodenmitarbeiter. Zur "A. Berlin-Group" gehörten über 40 Unternehmen, u.a. auch die Luftfahrtgesellschaft W. GmbH (nachfolgend LGW) und die N. Luftfahrt GmbH. Die für den Flugbetrieb der Schuldnerin verwendeten Flugzeuge standen nicht im Eigentum der Schuldnerin, sondern waren über verschiedene Vertragspartner geleast. Die Flugzeugflotte der LGW bestand aus Flugzeugen des Typs Dash-8, die sie wiederum von der Schuldnerin leaste, die ihrerseits diese Flugzeuge von verschiedenen Leasinggebern im sog. Headlease angemietet hatte. N., mit Sitz in Wien, betrieb 21 Kurz-und Mittelstreckenflugzeuge der A 320-Familie.
Für die Beschäftigten im Flugbetrieb der Schuldnerin wurden auf der Grundlage zweier Tarifverträge zwei unterschiedliche Personalvertretungen für das Kabinenpersonal und für das Cockpitpersonal gewählt. Den Tarifvertrag Personalvertretung für das Cockpitpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (TVPV) vereinbarte auf Arbeitnehmerseite die Gewerkschaft Cockpit e.V., den Tarifvertrag "Personalvertretung für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG" vom 07.06.2016 die Gewerkschaft ver.di.
Die am ...1963 geborene Klägerin, die einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, ist seit dem 01.03.1989 bei der Schuldnerin bzw zunächst bei der LTU als Purserin zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 3.790,07 € beschäftigt. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft...