Entscheidungsstichwort (Thema)
Parallelentscheidung zu LAG 7 Sa 795/18 v. 15.01.2019 sowie 9 Sa 799/18 v. 08.01.2019 u.a.
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Prüfung, ob eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der Betriebsübergangsrichtlinie übergegangen ist, ist zuerst zu prüfen, ob eine bestimmte Einheit als "wirtschaftliche Einheit organisiert war", was Sache des nationalen Gerichts ist. Erst danach schließt sich die Prüfung an, ob die Voraussetzungen für den Übergang einer solchen Einheit erfüllt sind (EuGH 10.12.1998 - verb Rs. C-173/96 u. C-247/96 - Hidalgo u.a. - Rn 28f).
2. Die wirtschaftliche Einheit muss vor dem Übergang insbesondere über eine ausreichende funktionelle Autonomie bezogen auf die Leitung der Arbeitnehmergruppe verfügen (EuGH 06.03.2014 - C-458/12 - Amatori Rn. 31f).
3. Auch wenn vorliegend mit der Stilllegung des Flugbetriebes durch die Freistellung und Kündigung von über 1.300 Pilotinnen und Piloten schon im November 2017 begonnen wurde, werden ausnahmsweise Nachteilsansprüche deswegen nicht begründet, da es zu dem "Ob" der Betriebsstilllegung zu diesem Zeitpunkt keinerlei realistische Alternative gab.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 17 Abs. 3; BGB §§ 134, 613a Abs. 4; RL 2001/23/EG Art. 1 Abs. 1 Buchst. a); TV Personalvertretung Kabine Air Berlin § 83 Abs. 3; InsO § 113; BetrVG § 117 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.09.2018; Aktenzeichen 38 Ca 2847/18) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25.09.2018 - Az. 38 Ca 2847/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird für die Klägerin nur bezogen auf den abgewiesenen Antrag zu V. (Nachteilsausgleich) zugelassen. Im Übrigen wird sie nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten - wie in ca. 2.000 weiteren Verfahren allein in Berlin - im Kern über die Wirksamkeit einer Kündigung, die auf eine beabsichtigte Betriebsstilllegung gestützt wird, Auskunftsansprüche, Ansprüche auf Nachteilsausgleich, Verzugslohnansprüche und nunmehr zweitinstanzlich über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Wege des Betriebsübergangs zur Beklagten zu 2.
Der Beklagte ist durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg, der am 17.01.2018 veröffentlicht wurde, zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in Berlin bestellt worden.
Die Klägerin (künftig: die klagende Partei) war bei der Schuldnerin in der Funktion als Flugbegleiterin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis begann am 22.04.1996 mit der Rechtsvorgängerin (LTU). Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt betrug 4.997,22 €. Die Klägerin war in München stationiert.
Bei der Schuldnerin handelte es sich im Jahre 2017 um die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, die von ihren Drehkreuzen in Düsseldorf und Berlin-Tegel hauptsächlich Ziele überwiegend in ganz Europa anflog. Sie beschäftigte nach Angaben des Beklagten mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Das fliegende Personal der Schuldnerin war in Deutschland an den Flughäfen Berlin-Tegel, Düsseldorf, München, Frankfurt, Nürnberg, Stuttgart, Leipzig, Köln, Hamburg und Paderborn stationiert.
Die Schuldnerin nutze für den Flugbetrieb ausschließlich geleaste Flugzeuge, nach ihren Angaben insgesamt 132 zum Stichtag 12.10.2017. Sie war weiterhin alleinige Eigentümerin des österreichischen Flugbetriebs N. Luftfahrt GmbH mit Sitz in Wien, welche 21 Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge der A 320-Familie betrieb.
Seit dem Jahr 2016 unterhielt die Schuldnerin nicht mehr ausschließlich einen eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb, sondern war auch im sog. "Wet-Lease" für die E. GmbH (im Folgenden: E.), einer 100 %-igen Tochter der Deutschen L. AG, sowie die Deutsche L. AG (im Folgenden: L.) tätig. Beim Wet-Lease, bei der Schuldnerin auch als ACMIO bezeichnet, stellt eine Fluggesellschaft einer anderen Fluggesellschaft ein Flugzeug mit Cockpit-Crew, Kabinenpersonal, Wartung und Versicherung bereit.
Um eine Flugstrecke am Markt anbieten zu können, benötigt eine Fluggesellschaft so genannte "Slots", d.h. "Zeitnischen" im Sinne der VO (EWG) Nr. 95/93. Hierbei handelt es sich um das Recht, an einem Flughafen, dessen Kapazitäten eine entsprechende Koordinierung erforderlich machen, an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit zu starten oder zu landen. Es handelt sich dabei um öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte.
Der gesamte Flugbetrieb wurde zentral in Berlin geplant. Dies betraf den Einsatz von Maschinen und Personal, den saisonalen und monatlichen Flugplan, aber auch Entscheidungen bei kurzfristigen Ausfällen.
Für das Kabinenpersonal wurde gemäß § 117 Absatz 2 BetrVG auf Basis des "Tarifvertrags Personalvertretung für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG" (im Folgenden: TV PV) vom 07.06.2016 - abgeschlossen mit ver.di - eine Personalvertretung (im Folgenden: PV Kabine) gebildet. Für das...