Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkündungspflicht von Beschlüssen auch bei Entscheidungen ohne vorherige Anhörung. Kein wirksamer Beschluss ohne Verkündung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 84 Satz 3 ArbGG iVm. § 60 ArbGG sind arbeitsgerichtliche Beschlüsse auch dann zu verkünden, wenn nach § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG ohne mündliche Verhandlung entschieden worden ist. § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG lässt lediglich eine Ausnahme von der mündlichen Anhörung, nicht jedoch von der Verkündung zu.

2. Ist eine wirksame Verkündung der Entscheidung unterblieben, liegt ein Scheinbeschluss vor, der keine Rechtswirkungen haben kann. Das Verfahren wird dadurch nicht beendet, sondern verbleibt in der Instanz. Allerdings kann er durch seine bloße Existenz für die Beteiligten gefährlich werden. Es ist daher wie eine wirksame Entscheidung anfechtbar und ist vom Beschwerdegericht aufzuheben.

3. Das Beschwerdegericht ist bei fehlender Verkündung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses auch in einem Verfahren nach § 100 ArbGG nicht befugt, eine eigene Entscheidung in der Sache zu treffen. Eine entsprechende Befugnis folgt auch nicht aus § 100 Abs. 1 Satz 6 ArbGG. Gegenstand der landesarbeitsgerichtlichen Beschwerdeentscheidung ist - wie bereits aus § 100 Abs. 2 Satz 1 ArbGG folgt - stets eine zumindest existente Entscheidung eines Arbeitsgerichts. Fehlt es an einer solchen, kann das Beschwerdegericht nicht quasi als erstinstanzliches Gericht unter Missachtung des Instanzenzugs eine eigene Entscheidung in der Sache treffen. Hierfür ist eine Rechtsgrundlage nicht gegeben.

 

Normenkette

ArbGG §§ 84, 60, 100, 83 Abs. 4 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 11.05.2020; Aktenzeichen 46 AR 50018/20)

 

Tenor

I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.05.2020 - 46 AR 50018/20 - wird aufgehoben.

II. Das Verfahren wird an das Arbeitsgericht Berlin zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Einsetzung zweier Einigungsstellen. Der Betriebsrat begehrt die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Thema "Einführung von Kurzarbeit" sowie die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Thema "Verhandlung über einen Sozialplan".

Nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis erteilt hatten, entschied das Arbeitsgericht nach § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. In dem Beschluss vom 11.05.2020 wurde auf Antrag des Betriebsrats eine Einigungsstelle zum Thema "Einführung von Kurzarbeit" eingesetzt und der Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Thema "Verhandlung über einen Sozialplan" zurückgewiesen. Der Beschluss wurde nicht verkündet.

Mit beim Arbeitsgericht am 25.5.2020 eingegangen Schriftsatz hat der Betriebsrat gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Beschwerde eingelegt. Mit beim Beschwerdegericht am 29.05.2020 eingegangen Schriftsatz haben die Arbeitgeberinnen gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Beschwerde eingelegt.

Mit Schreiben vom 25.05.2020, hinsichtlich dessen genauen Inhalts auf Bl. 161 d. A. verwiesen wird, wies das Beschwerdegericht darauf hin, dass sich aus der Verfahrensakte keine Verkündung des Beschlusses ergebe und deswegen von einem "Scheinbeschluss" auszugehen sei, der vom Beschwerdegericht aufzuheben sei.

Der Betriebsrat ist der Auffassung, das Beschwerdegericht sei nicht befugt, den Beschluss aufzuheben, sondern müsse in der Sache selbst entscheiden. Dies ergebe sich daraus, dass aufgrund der Nichtverkündung des Beschlusses auch die Frist des § 100 Abs. 1 Satz 6 ArbGG zur Zustellung des Beschlusses nicht eingehalten worden sei. Der Betriebsrat vertritt insoweit die Ansicht, die zweite Instanz sei immer zur Entscheidung in der Sache berufen, wenn die Frist des § 100 Abs. 1 Satz 6 ArbGG zur Zustellung des Beschlusses abgelaufen sei.

Der Betriebsrat beantragt:

1. Die Größe der Einigungsstelle zwischen den Parteien zur Verhandlung einer Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit wird auf 7 Personen festgesetzt.

Als Vorsitzender der Einigungsstelle wird Herr Dr. Bernd R. bestellt.

2. Die Größe einer weiteren Einigungsstelle zwischen den Parteien zur Verhandlung einer Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan zu Kündigung und Sozialabbau im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wird auf 7 Personen festgesetzt.

Als Vorsitzender dieser weiteren Einigungsstelle wird Herr Dr. Bernd R. bestellt.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.05.2020 - 46 AR 50018/20 - aufzuheben.

II.

Auf die Beschwerde beider Beteiligten war der Beschluss des Arbeitsgerichts klarstellend aufzuheben und das Verfahren an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

1. Nach § 84 Satz 3 ArbGG iVm. § 60 ArbGG sind arbeitsgerichtliche Beschlüsse zu verkünden. Der Beschluss ist auch dann zu verkünden, wenn nach § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG ohne mündliche Anhörung der Beteiligten entschieden worden ist (vgl. GMP/Spinner ArbGG § 84 Rn. 16 mwN). § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG lässt lediglich eine Ausnahme von der mündlichen Anhörung, nicht jedoch von der Verkündung zu.

2. Ist eine wirksame Ver...

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