Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichwertige Rechtsstellung aller Inhaber innerhalb des Gemeinschaftsbetriebs. Keine Rechtsänderung bei bloßem virtuellen Gemeinschaftsbetrieb. Geltendmachung des Verstoßes gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats keine Voraussetzung für einstweiligen Rechtsschutz zur Verhinderung der Stellenbesetzung. Kein Recht des Betriebsrats zur Verhinderung unternehmerischer Entscheidungen. Recht zur Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats bei Verstößen gegen AÜG oder Tarifvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. In einem Gemeinschaftsbetrieb sind regelmäßig alle Inhaber der betrieblichen Leitungsmacht Beteiligte, da sie in ihrer möglichen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung (Arbeitgeberstellung) unabhängig davon betroffen sind, welches Unternehmen aus den Anträgen tatsächlich verpflichtet werden soll.
Im Gemeinschaftsbetrieb sind Inhaber der betrieblichen Leitungsmacht alle Unternehmen, die sich zur einheitlichen Leitung des Betriebs verbunden haben (vgl. BAG 29. September 2004 1 ABR 39/03, zu B I 2 a der Gründe).
2. Ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Durchführung von Betriebsänderungen dient der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 19. Juni 2014 - 7 TaBVGa 1219/14, mwN; LAG Rheinland-Pfalz 22. März 2018 - 4 TaBV 20/17, Rn. 26).
3. Keine Betriebsänderung bei Schaffung eines rein "virtuellen Gemeinschaftsbetriebs".
4. Dem Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung des Verhandlungsanspruchs durch die Untersagung von Stellenbesetzungen steht nicht entgegen, dass ein allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats wegen Verletzung seines Mitbestimmungsrechts nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht besteht (vgl. dazu BAG 23. Juni 2009 - 1 ABR 23/08, Rn. 9).
Denn insoweit geht es dem Betriebsrat nicht um eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, sondern des § 111 BetrVG.
5. Verstöße gegen Arbeitnehmerüberlassungs- und Tarifvertragsrecht können einen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG darstellen.
Normenkette
ArbGG § 83 Abs. 3; BetrVG § 99 Abs. 1 S. 1, § 111
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Entscheidung vom 30.10.2020; Aktenzeichen 3 BVGa 12/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 30. Oktober 2020 - 3 BVGa 12/20 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Betriebsrat begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Sicherung eines Verhandlungsanspruchs, der ihm aus seiner Sicht anlässlich der Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs durch die Arbeitgeberinnen zusteht.
Die Beteiligte zu 2) betreibt im Land Brandenburg Kliniken in Brandenburg an der Havel, Lübben und Teupitz. Die Beteiligte zu 3) ist als Tochterunternehmen der Beteiligten zu 2) gegründet und am 15. September 2020 ins Handelsregister eingetragen worden. Der Betriebsrat ist in Brandenburg an der Havel gebildet. Dort beschäftigt die Beklagte ca. 740 Personen. Die Beteiligte zu 2) hat mit den Gewerkschaften Ver.di und Magdeburger Bund Tarifverträge geschlossen. Die betriebliche Altersversorgung ist über die VBL (Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder) geregelt.
Am 15. September 2020 informierte die Beteiligte zu 2) den Betriebsrat darüber, dass sie beabsichtige, ab dem 1. November 2020 mit der neu gegründeten Beteiligten zu 3) an ihren drei Standorten jeweils einen Gemeinschaftsbetrieb zu errichten.
Unter dem Datum des 30. September 2020 schlossen die Beteiligten zu 2) und 3) eine Betriebsführungsvereinbarung. Darin heißt es zu § 3 ua:
"(1) Das gemeinsame Leitungsorgan ist für alle personellen Angelegenheiten im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes aller Arbeitnehmer an den beteiligten Unternehmen zuständig und Ansprechpartner des jeweiligen Betriebsrats."
Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage 3b zum Schriftsatz des Betriebsrats vom 26. Oktober 2020.
Weitere Informationen erfolgten am 1. Oktober 2020. Danach sollten ab dem 1. November 2020 Neueinstellungen über die Beteiligte zu 3) erfolgen.
Den Wirtschaftsausschuss informierte die Beteiligte zu 2) am 23. Oktober 2020 zu von diesem aufgeworfenen Fragen. Danach war es beabsichtigt, dass die Beteiligten zu 2) und 3) ihre materiellen und immateriellen Betriebsmittel einschließlich des Personals in den Gemeinschaftsbetrieb einbringen. Am 1. November 2020 verfüge die Beteiligte zu 3) über keine Betriebsmittel. Da die Beteiligte zu 3) am 1. November 2020 nicht über Betriebsmittel und auch nicht über Personal verfügt habe, werde mangels Vorhandensein eines Betriebs nicht von einer Betriebsänderung iSd § 111 Abs. 3 Satz 3 BetrVG, sondern von einer Eingliederung ausgegangen.
Inzwischen haben die im Betrieb in Brandenburg zuständigen Personen Stellen für die Beteiligte zu 3) ausgeschrieben. Zu Einstellungen ist es bisher nicht gekommen. Das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel hat am Tag der Entscheidung eine Einigungsstelle mit dem hier streitgegenständlichen Regelungsgegenstand eingesetzt...