Entscheidungsstichwort (Thema)
Allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. Vorrang des Tarifvertrages. abschließende tarifliche Regelung zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Unbegründeter Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei abschließender tariflicher Regelung zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
Nach § 16 Abs. 3 Manteltarifvertrag Flugsicherung darf der Arbeitgeber nur in begründeten Einzelfällen die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit verlangen. Dies steht einer generellen Anweisung an alle Mitarbeiter, während eines Arbeitskampfes bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine entsprechende Bescheinigung vorzulegen, entgegen. Damit entfällt auch ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, das durch einen allgemeinen Unterlassungsanspruch zu schützen wäre.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Eingangssatz, Abs. 1 Nr. 1; MTV Flugsicherung § 16 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.01.2012; Aktenzeichen 23 BV 15345/11) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. Januar 2012 - 23 BV 15345/11 - abgeändert und die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1. Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats wegen Verletzung von Mitbestimmungsrechten im Zusammenhang mit einer arbeitgeberseitigen Anweisung zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit.
Die Beteiligte zu 2., im Folgenden Arbeitgeberin, ist ein aus der ehemaligen Bundesanstalt für F. hervorgegangenes privates Flugsicherungsunternehmen mit bundesweit knapp 6.000 Beschäftigten. Der Beteiligte zu 1. ist der für den Betrieb in Berlin zuständige Betriebsrat (im Folgenden Betriebsrat).
Der für die Arbeitgeberin geltende Manteltarifvertrag sieht unter § 16 hinsichtlich der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen folgendes vor:
(2) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verpflichtet, der DFS die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, so haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauf folgenden Werktag vorzulegen.
(3) Die DFS kann im begründeten Einzelfall eine ärztliche Bescheinigung ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit nach Rücksprache mit dem Betriebsrat verlangen.
Im Vorfeld eines anstehenden Arbeitskampfes im Sommer 2011 ordnete die Arbeitgeberin an, dass alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Niederlassung Berlin bis zum Ende des Arbeitskampfes am ersten Krankheitstag eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen hätten. Den Betriebsrat beteiligte sie an dieser Maßnahme nicht.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Beschluss vom 12. Januar 2012 dem daraufhin vom Betriebsrat bei Gericht gestellten Unterlassungsantrag stattgegeben und der Arbeitgeberin untersagt, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der DFS Niederlassung Berlin ohne die Zustimmung des Betriebsrats oder ohne die vorherige Entscheidung einer Einigungsstelle die Anweisung zu geben, ab dem ersten Tag einer Arbeitsunfähigkeit ein ärztliches Attest vorzulegen und für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 Euro angedroht. Zur Begründung hat es im Wesentlichen unter Wiederholung der Argumente aus der Antragsschrift ausgeführt, die zwischen den Beteiligten allein im Streit stehende generelle Anordnung verstoße gegen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Dieses Mitbestimmungsrecht sei nicht gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aufgrund Tarifvorrangs ausgeschlossen. Zwar enthalte § 16 Abs. 3 des Manteltarifvertrages eine Regelung hinsichtlich der Anordnung zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem ersten Tag, diese Regelung schränke das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates im Zusammenhang mit der Anordnung zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jedoch deshalb nicht ein, da sie viel zu unbestimmt und mithin nicht abschließend sei. Insbesondere seien die Rahmenbedingungen unter denen die Anordnung erfolgen könne, nicht beschrieben. Auch sei das Mitbestimmungsrecht nicht aufgrund einer möglichen Streiksituation suspendiert. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Arbeitgeberin die Vorlage ab dem ersten Tag der Krankheit verlangt habe, habe der Streik noch nicht begonnen. Die für den allgemeinen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr.
Gegen diesen der Arbeitgeberin am 13. Februar 2012 zugestellten Beschluss richtet sich ihre Beschwerde, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 8. März 2012 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht am Montag, den 14. Mai 2012 - nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 13. Mai 2012 - eingegangen...