Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagefrage an den EuGH gemäß Artikel 267 AEUV. Urlaubsabgeltung
Leitsatz (redaktionell)
Das Inkrafttreten des EU-Reformvertrags und insbesondere der Grundrechtecharta am 01.12.2009 wirft die Frage auf, ob der in der Arbeitszeitrichtlinie geregelte Mindesturlaub über die Vorschrift des Artikel 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta einen primärrechtlichen Charakter erlangt hat, der entgegenstehendes nationales Recht unanwendbar macht.
Normenkette
GrRCharta Art. 31; RL 2003/88/EG Art. 7; BUrlG § 13 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 24.11.2010; Aktenzeichen 10 Ca 6344/10) |
Tenor
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Artikel 267 AEUV folgende Fragen vorgelegt:
- Stehen Artikel 31 Grundrechtecharta und Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG vom 04. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung einer nationalen Regelung wie in § 13 Abs. 2 BUrlG entgegen, nach der in bestimmten Branchen die Dauer des jährlichen Mindesturlaubs von vier Wochen durch Tarifvertrag verringert werden kann?
- Stehen Artikel 31 Grundrechtecharta und Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG vom 04. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung einer nationalen tariflichen Regelung wie derjenigen im Bundesrahmentarifvertrag Bau entgegen, nach der ein Urlaubsanspruch in solchen Jahren nicht entsteht, in denen wegen Krankheit eine bestimmte Bruttolohnsumme nicht erzielt wird?
Falls die Fragen zu 1. und 2. bejaht werden:
Ist eine Regelung wie in § 13 Abs. 2 BUrlG dann unanwendbar?
Falls die Fragen zu 1. bis 3. bejaht werden:
Besteht im Hinblick auf die Wirksamkeit der Regelung des § 13 Abs. 2 BUrlG und den Regelungen des Bundesrahmentarifvertrages Bau ein Vertrauensschutz, wenn Zeiträume vor dem 01. Dezember 2009, dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages und der Grundrechtecharta betroffen sind? Ist den Tarifvertragsparteien des Bundesrahmentarifvertrages Bau eine Frist einzuräumen, innerhalb derer sie selbst eine andere Regelung vereinbaren können?
II. Das Verfahren wird ausgesetzt.
Gründe
1. Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für die Jahre 2007, 2008 und 2009 ein Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von jeweils 2.598,00 EUR jährlich zusteht.
Der mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Kläger stand in der Zeit vom 1. Juli 1985 bis zum 31. Dezember 2009 in einem Arbeitsverhältnis als Maschinist zur Beklagten, einem mittelständigen Unternehmen des Abbruchgewerbes. Er war seit dem 20. Juni 2006 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2009 arbeitsunfähig erkrankt; der Entgeltfortzahlungszeitraum hatte am 25. August 2006 geendet, der Kläger bezog sodann über einen Zeitraum von längstens 78 Wochen Kranken- bzw. Verletztengeld seitens des Trägers der Krankenversicherung.
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Regelungen des allgemein-verbindlichen Bundesrahmentarifvertrages Bau (BRTV-Bau) Anwendung. Nach § 8 Nr. 1.2 BRTV-Bau erwirbt ein Arbeitnehmer nach jeweils 12 – für Schwerbehinderte nach jeweils 10,3 – Beschäftigungstagen Anspruch auf einen Tag Urlaub. Beschäftigungstage sind nach § 8 Nr. 2.3 BRTV-Bau alle Kalendertage des Bestehens von Arbeitsverhältnissen mit Ausnahme von Tagen, an denen der Arbeitnehmer unter anderem arbeitsunfähig erkrankt ist und weder Arbeitsentgelt noch Kranken- oder Verletztengeld erhalten hat. Der Tarifvertrag sieht weiter vor, dass sich die Urlaubsvergütung nach dem Bruttolohn bemisst, § 8 Nr. 4.2 BRTV-Bau.
Die Beklagte hat unter Berufung auf diese Vorschriften des BRTV-Bau die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe mithin für den hier fraglichen Zeitraum 2007 bis 2009 mangels Ableistung von Beschäftigungstagen kein Urlaubsanspruch bzw. kein Anspruch auf Urlaubsvergütung zu, da jedenfalls das vom Kläger erzielte Bruttoentgelt in diesem Zeitraum 0 gewesen sei. Überdies habe der Kläger seine Ansprüche nicht rechtzeitig im Sinne der Ausschlussfristen des § 15 Abs. 1 BRTV-Bau geltend gemacht. Denn ein etwaiger Anspruch sei am 1. Januar 2010 fällig geworden, die tarifvertragliche Ausschlussfrist habe demgemäß am 28. Februar 2010 geendet, der Kläger habe seinen Anspruch allerdings erst mit dem 8. März 2010 geltend gemacht.
Demgegenüber hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass die fraglichen Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes bzw. des BRTV-Bau im Widerspruch zu europarechtlichen Vorgaben aus der Grundrechtecharta und der Arbeitszeitrichtlinie stünden und deswegen nicht anwendbar seien. Die Geltendmachung seiner Forderungen sei nicht verspätet, da die Urlaubsvergütung wie Lohnansprüche jeweils am 15. des Folgemonats, mithin am 15. Januar 2010 fällig geworden sei und er mit seiner Geltendmachung am 8. März 2010 die zweimonatige Ausschlussfrist jedenfalls gewahrt habe.
Der Kläger hat (zuletzt) beantragt,
an ihn 7.794,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urtei...