Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriterien für die Dotierung des Sozialplans. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für das Unternehmen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Sozialplan ist so zu dotieren, dass er über den Ausgleich der den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile nicht hinausgeht, diese aber zumindest substanziell mildert, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer also von den Nachteilen spürbar entlastet. Er ist insoweit zu begrenzen, als die gebotene Entlastung wirtschaftlich nicht vertretbar ist, weil der Ausgleich der Nachteile den Bestand des Unternehmens gefährden würde.
2. Für die wirtschaftliche Vertretbarkeit ist auch bei wirtschaftlich verflochtenen Unternehmen auf das arbeitgebende Unternehmen und nicht auf Dritte abzustellen. Das Gesetz enthält insoweit keine verdeckte Regelungslücke. Der Gesetzgeber wollte grundsätzlich am gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip festhalten.
3. Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit sind Ansprüche des arbeitgebenden Unternehmens gegen Dritte auf Ausgleich der Sozialplanlasten einzubeziehen. Aus der bloßen Praxis, Verluste auszugleichen oder durch Darlehen bei gleichzeitigem insolvenzrechtlichen Rangrücktritt zu decken, lassen sich ebenso wenig wie aus einem Beherrschungsvertrag Ansprüche auf Finanzierung eines noch abzuschließenden Sozialplans ableiten. Ansprüche nach § 826 BGB wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs bestehen ohnehin nur bei Insolvenz.
4. Der Betriebsrat kann auch nicht mögliche Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wegen unzureichender Unterrichtung im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang bündeln und daraus ein Recht auf Erhöhung des Sozialpanvolumens ableiten.
5. Das Vermögen eines dritten Unternehmens kann jedoch dem arbeitgebenden Unternehmen im Wege des Bemessungsdurchgriffs normativ zurechenbar sein.
a) Das kommt in Betracht, wenn ein Beherrschungsvertrag bestand. Dies gilt auch bei einem formnichtigen, faktischen Beherrschungsvertrag.
Denn ein Beherrschungsvertrag begündet die Gefahr, dass dem arbeitgebenden Unternehmen Weisungen erteilt werden, die nicht in seinem Interesse liegen. Diese Gefahr muss sich jedoch verwirklicht haben. Das ist der Fall, wenn durch derartige Weisungen eine wirtschaftliche Situation herbeigeführt wurde, die eine angemessene Sozialplandotierung ausschließt.
b) Ein Bemessungsdurchgriff kann sich auch aus den in der Betriebsverfassung in § 2 Abs. 1 BetrVG verankerten Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben.
aa) Das ist der Fall bei einer funktionswidrigen Vermögens- oder Geschäftsfeldverschiebung. Eine solche liegt vor, wenn das arbeitgebende Unternehmen seine Entscheidungen nicht am Eigeninteresse sondern an den Interessen Dritter ausrichtet und sich deshalb seine wirtschaftliche Lage so verschlechtert, dass ein angemessen dotierter Sozialplan wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Das arbeitgebende Unternehmen muss sich dann so behandeln lassen, als hätte es die seinen Interessen zuwiderlaufenden Handlungen nicht vorgenommen.
bb) Ein Bemessungsdurchgriff ist auch geboten, wenn eine Vermögensvermischung zwischen dem arbeitgebenden Unternehmen und einem Dritten vorliegt.
6. Die bloße wirtschaftliche und finanzielle Verflechtung oder Abhängigkeit zwischen Unternehmen sind kein Rechtsgrund für eine Erhöhung des Sozialplanvolumens.
Normenkette
BetrVG § 112 Abs. 5, § 2 Abs. 1; AktG §§ 291, 302 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 05.09.2017; Aktenzeichen 8 BV 4526/17) |
Tenor
I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. September 2017 - 8 BV 4526/17 - wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs über die Aufstellung eines Sozialplans.
Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) erbrachte zuletzt im Auftrag ihrer allein stimmberechtigten Kommanditistin, der G. Berlin GmbH & Co KG (im Folgenden: GGB), Passagierabfertigungsdienstleistungen am Flughafen Tegel. Der Beteiligte zu 1) ist der für den Betrieb der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat). Alleingesellschafter der persönlich haftenden Gesellschafterin der Arbeitgeberin, der A. P. S. Berlin Beteiligungs GmbH, ist deren Geschäftsführer Herr A..
Die GGB, zwischenzeitlich in A. S. Berlin GmbH & Co. KG umbenannt, ist aus der G. Berlin GmbH hervorgegangen. Diese stand ursprünglich im Eigentum der Betreibergesellschaft des Flughafens Schönefeld und der Lufthansa AG und wurde im Jahre 2008 von der W.-Gruppe übernommen. Sie erbrachte die Bodenverkehrsdienstleistungen an den Flughäfen Berlin-Brandenburg auf der Grundlage von sog. Fullhandlingverträgen mit den Fluggesellschaften ursprünglich selbst. Komplementärin der GGB ist die G. Berlin Beteiligungs GmbH, deren Anteile von zwei Rechtsanwälten aus Würzburg Herrn B. und Herrn Dr. Sch. gehalten werden. Kommanditistin ist ein...