Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfung der Tariffähigkeit einer Gewerkschaft als Ganzes im Verfahren nach § 97 ArbGG. Tariffähigkeit von ver.di aufgrund aktiver Schlüsselposition
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft ist bezogen auf die Organisation als Ganzes und nicht beschränkt auf einzelne Organisationsbereiche zu prüfen. Die Prüfung erfolgt im Verfahren nach § 97 ArbGG.
2. Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ist tariffähig.
Normenkette
ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97; GG Art. 9 Abs. 3; ArbGG § 97 Abs. 2a
Nachgehend
Tenor
I. Die Anträge des Beteiligten zu 1) werden zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Das Verfahren betrifft die Frage, ob die am Verfahren zu 2) beteiligte Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in der Pflegebranche außerhalb von Krankenhäusern nicht tariffähig ist, oder ob sie - wie der Antragsteller und am Verfahren zu 1) beteiligte Arbeitgeberverband Pflege e.V. (AGVP) hilfsweise geltend macht - insgesamt tarifunfähig ist.
Ver.di ist hat ihren Sitz in Berlin und ist mit zwischen 1,8 und 2,0 Millionen Mitgliedern eine der größten deutschen Einzelgewerkschaften. Nach § 5 Absatz 1 ihrer Satzung in der zuletzt durch den 5. Ordentlichen Bundeskongress vom 22. bis 28. September 2019 geänderten Fassung, bekennt sich ver.di zu den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats und ist unabhängig von Arbeitgeber*innen, staatlichen Organen, Parteien und Religionsgemeinschaften. § 5 Absatz 2 der Satzung sieht vor, dass ver.di die wirtschaftlichen und ökologischen, die sozialen, beruflichen und kulturellen Interessen ihrer Mitglieder fördert. Nach § 5 Absatz 3 Buchstabe e der Satzung dient zur Erreichung unter anderem dieses Ziels der Abschluss und die Durchsetzung von Tarifverträgen und anderen Vereinbarungen, die Verteidigung des Streikrechts, der Ausbau der Streikfreiheit und der Kampf gegen die Aussperrung. Nach § 5 Absatz 4 Satz 1 der Satzung ist ver.di bereit, alle gewerkschaftlichen Mittel einzusetzen, um diese Grundsätze und Ziele zu verwirklichen.
Hinsichtlich des Organisationsbereichs von ver.di verweist § 4 der Satzung auf den Anhang 1 als Bestandteil der Satzung. Der Anhang hat auszugsweise folgenden Inhalt:
"Organisationsbereich
1. Der Organisationsbereich von ver.di umfasst:
...
1.1 Postdienste, Postbank und Telekommunikation
...
1.2 Handel, Banken, Versicherungen
...
1.3 Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst
...
1.4 Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
Dienstleistungen für die Allgemeinheit in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form, insbesondere öffentliche Dienste, der Transport und Verkehr, die Ver- und Entsorgungswirtschaft einschließlich der leitungsgebundenen Energieversorgung, der Gesundheits- und Sozialdienste, Einrichtungen der Infrastrukturen und der Forschung und Entwicklung, Umweltschutzdienste sowie bestimmte private Dienstleistungen.
Hierzu gehören insbesondere:
...
- Verwaltungen, Betriebe und Einrichtungen des öffentlichen und privaten Gesundheitswesens einschließlich der hygienischen Institute
...
- Verwaltungen, Betriebe und Einrichtungen der karitativen und kirchlichen Einrichtungen
...
1.5 ver.di und ihre Einrichtungen
..."
Wegen des weiteren Inhalts der Satzung einschließlich des Anhangs 1 wird auf deren Ablichtung (Blatt 27 ff. (fortfolgende) der Akten) verwiesen. Der Organisationsbereich von ver.di entspricht grundsätzlich dem Zuständigkeitsbereich der früheren Deutschen Postgewerkschaft (DPG), der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), der Industriegewerkschaft Medien (IG Medien) sowie der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), die sich als "Quellgewerkschaften" zusammen mit der früheren Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) 2001 zu ver.di zusammengeschlossen haben.
Im AGVP haben sich private Pflegeunternehmen zusammengeschlossen. Von 1.218.039 Arbeitnehmer*innen der Pflegebranche beschäftigen die im AGVP organisierten Arbeitgeber*innen etwa 75.000. Die Satzung des AGVP (Blatt 18 ff. der Akten) lautet auszugsweise wie folgt:
"...
§ 2
Zweck des Vereins
(1)
Zweck des Vereins ist die Wahrung und Förderung der tarif-, sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen seiner Mitglieder. Der Verband ist die Arbeitgeberorganisation der Pflegeeinrichtungen in Deutschland für Verhandlungen und Vereinbarungen mit den Organisationen der Arbeitnehmer gemäß den Bestimmungen des Tarifvertragsgesetzes und insbesondere für den Abschluss von Tarifverträgen ...
(2)
Dieser Zweck wird insbesondere verwirklicht durch:
...
d) den Abschluss von Tarifverträgen und die Beratung in tarifpolitischen Angelegenheiten ...
(3)
Der Verband verfolgt keine wirtschaftlichen Zwecke; ein auf Gewinn ausgerichteter Geschäftsbetrieb ist ausgeschlossen. Der Verband ist parteipolitisch und weltanschaulich neutral. Er erkennt die geltende Rechtsordnung, insbesondere das geltende Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht, an.
..."
Ver.di h...