Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorgreiflichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Von einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis i.S.d. § 148 ZPO für eine Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte ist nur auszugehen, wenn der Kläger im Falle des Obsiegens im Kündigungsschutzprozess einen Anspruch auf Entfernung der streitigen Abmahnung hätte. Dass er einen solchen Anspruch in der Regel nicht hat, wenn sein Arbeitsverhältnis inzwischen durch Kündigung aufgelöst worden ist, genügt dagegen nicht. Vielmehr muss für Vorgreiflichkeit der Bestand des streitigen Anspruchs im Übrigen feststehen, was sogar die Durchführung einer Beweisaufnahme erforderlich machen kann.

 

Normenkette

ZPO § 148

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Beschluss vom 13.02.2012; Aktenzeichen 58 Ca 6578/11)

 

Tenor

wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 13.02.2012 – 58 Ca 6578/11 – aufgehoben, nachdem dieses der sofortigen Beschwerde der Beklagten nicht abgeholfen hat.

 

Gründe

1. Das ArbG hat nach Erlass eines Beweisbeschlusses das Verfahren über die Entfernung dreier Abmahnungen mit Rücksicht auf einen inzwischen anhängigen Kündigungsschutzprozess der Parteien gemäß § 148 ZPO mit der Begründung ausgesetzt, die Entscheidung hinge vom Bestand des Arbeitsverhältnisses ab, weil der Arbeitnehmer nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses in der Regel keinen Anspruch mehr auf Entfernung einer Abmahnung habe. Der sofortigen Beschwerde hat es nicht abgeholfen, weil nach derzeitigem Stand des Verfahrens offen sei, ob der Kläger einen Entfernungsanspruch habe, weil sein Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt und über seine Kündigungsschutzklage noch nicht entschieden worden sei. Mangels besonderer Gründe, die ausnahmsweise die Annahme eines Entfernungsanspruchs rechtfertigten, sei die Klage derzeit unbegründet.

2. Die nach §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 78 Satz 1 ArbGG statthafte und nach § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO fristgemäß und formgerecht beim Landesarbeitsgericht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten ist begründet.

Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht eine Aussetzung anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.

2.1 Es fehlt bereits an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis.

2.1.1 Davon wäre nur auszugehen, wenn der Kläger im Falle des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Entfernung der streitigen Abmahnungen hätte. Dass er einen solchen Anspruch grundsätzlich nicht mehr hat, wenn sein Arbeitsverhältnis inzwischen durch die fristlose Kündigung aufgelöst worden ist (so BAG, Urteil vom 11.05.1994 – 5 AZR 660/93BAGE 77, 378 = AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 13 zu III 2 der Gründe; a.A. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.07.2011 – 10 Ta 1325/11 – RDV 2011, 250 zu II 1 der Gründe), genügt dagegen nicht. Vielmehr muss für Vorgreiflichkeit der Bestand des streitigen Anspruchs im Übrigen feststehen, was sogar die Durchführung einer Beweisaufnahme erforderlich machen kann (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.05.2009 – 5 Ta 91/09 – juris zu II der Gründe; zust. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.09.2009 – 13 Ta 1695/09 – zu II 1 der Gründe; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.10.2011 – 3 Sa 209/11 – juris zu II 2 der Gründe).

2.1.2 Nun hat das Arbeitsgericht zwar in seinem Nichtabhilfebeschluss noch ergänzend angenommen, die Klage auf Entfernung der Abmahnungen sei derzeit allein wegen des Ausspruchs der fristlosen Kündigung unbegründet, und ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des Hauptsachegerichts vom Beschwerdegericht keiner materiellrechtlichen Prüfung zu unterziehen (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.11.2009, 16 Ta 2245/09 zu II der Gründe). Diese Beschränkung entfällt indessen, wenn sich diese Auffassung als offensichtlich falsch erweist und deshalb der Mangel der Entscheidungserheblichkeit offensichtlich ist (BAG, Beschluss vom 26.10.2009 – 3 AZB 24/09 – AP ZPO § 148 Nr. 9 R 9). So verhält es sich hier.

2.1.2.1 Der Bestand eines Anspruchs kann durch den Ausspruch einer auf Beendigung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses gerichteten Erklärung allein noch nicht berührt werden. Soweit das Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 19.12.1985 – 2 AZR 190/85 – BAGE 50, 319 = AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 17 zu B II 2 d der Gründe) davon für den Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung nach Erlass eines obsiegenden Urteils in einem Kündigungsschutzprozess bei Ausspruch einer weiteren Kündigung eine Ausnahme gemacht hat, beruht dies allein auf der Vorläufigkeit dieses Anspruchs.

2.1.2.2 Zudem läge, träfe die Ansicht des Arbeitsgerichts zu, ebenfalls kein Grund für eine Aussetzung vor, sondern hätte die Klage konsequenter Weise als zurzeit unbegründet abgewiesen werden müssen.

2.2 Der Aussetzungsbeschluss stellt sich auch als ermessensfehlerhaft dar.

2.2.1 Zwar hat das Arbeitsgericht die Grundsätze der Beschleunigung und der Prozessökonomie gegeneinander ...

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