Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Mitarbeiterin im Bürgeramt wegen massenhafter Abrufe von Meldedaten aus Neugier

 

Leitsatz (amtlich)

Die massenhaften Abrufe von Meldedaten durch eine Mitarbeiterin im Bürgeramt rechtfertigen eine außerordentliche Kündigung, auch wenn sie nur einen kleinen Personenkreis betreffen und aus reiner Neugier erfolgt sind.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; MeldeG BE (1985)

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.11.2015; Aktenzeichen 56 Ca 6036/15)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. November 2015 - 56 Ca 6036/15 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

III. Der Gebührenwert des Berufungsverfahrens wird auf 18.900,00 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen des Arbeitsverhältnisses der Parteien einmal aus verhaltensbedingten und einmal aus personenbedingten Gründen.

Die Klägerin ist 55 Jahre alt (geb. ..... 1960) und seit dem 1. Juni 1980 als vollbeschäftigte Angestellte beim beklagten Land zuletzt im Amt für B. mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe E6 entsprechend ca. 2.700,-- EUR brutto/mtl. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Nach dessen § 34 Abs. 2 ist die Klägerin nur noch aus wichtigem Grund kündbar. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis jeweils nach Ersetzung der fehlenden Zustimmung des Personalrates durch die Einigungsstelle bereits zweimal unter dem 14. Juli 2014 (Beiakte 16 Sa 2036/14 Bl. 13-16 - W. I, Bl. 8-12 - W. II) und zweimal weitestgehend identisch unter dem 18. Juli 2014 (Beiakte Bl. 22-25 - W. I, Bl. 26-30 - W. II) insbesondere wegen des sachlich nicht begründeten Zugriffs auf Melderegisterdaten aus dem persönlichen Umfeld der Klägerin.

Diese Kündigungen griff die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Berlin im Verfahren 58 Ca 10357/14 (=16 Sa 2036/14 vor dem LAG Berlin-Brandenburg) erfolgreich an. In einem der Kündigungsschreiben, W. II war u.a. ausgeführt:

Ich kündige Ihnen fristlos aus wichtigem Grund das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis ... Ein wichtiger Grund ist dann gegeben, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

...

Insgesamt lagen 851 - achthunderteinundfünfzig - Aufrufe, die Sie getätigt haben, vor. Abzüglich der am 12.02.2014 ohne Berücksichtigung von A. G. eingeräumten 13 Missbrauchsfälle verbleiben 838 - achthundertachtunddreißig - weitere Missbrauchsfälle. Die Protokolldaten von A. G. konnten nicht abgefragt werden, da nach Auskunft des LABO die Angabe einer Wohnanschrift oder des Geburtsdatums erforderlich sei.

... 838 solcher Verstöße haben Sie im Hinblick auf nicht autorisierte Datenabrufe begangen.

In dem weiteren Kündigungsschreiben W. I (Beiakte Bl. 22-25 d.A.) hat das beklagte Land ausgeführt:

Ich kündige Ihnen fristlos aus wichtigem Grund das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis ... Sie haben mehrfach gegen Ihre Verpflichtung zur datenschutzrechtlichen Geheimhaltung nach dem Berliner Datenschutzgesetz verstoßen, indem sie mehrfach unbefugt Melderegisterdatensätze aufgerufen hatten und in mindestens einem Fall sogar Informationen, die Sie aus dem Melderegister erlangt hatten, an einen Dritten zur Verwendung in einem nachehelichen Unterhaltsstreitigkeit zur Verfügung gestellt haben.

...

1. Sie haben eingeräumt, unbefugt nach 2009 die Wohnanschriften einer Frau Sch., geschiedene V. aus dem Melderegister abgefragt und an Herrn V. weitergegeben zu haben. Frau Sch., geschiedene V., sei die ehemalige Ehefrau von Herrn V.. Sie haben angegeben, mit Herrn V. befreundet zu sein und diesem von sich aus angeboten zu haben, ihn im Rahmen eines Unterhaltsstreits mit diesen Daten zu unterstützen.

2. Sie haben eingeräumt zu einem von Ihnen nicht näher benannten Zeitraum die Daten von Herrn A. G. aus dem Melderegister für private Zwecke abgefragt zu haben.

3. Sie haben eingeräumt, in den Jahren 2009 und 2010 jeweils 5 bis 6 und 2011 zwei Mal und 2014 ein Mal unbefugt Datensätze abgerufen zu haben.

4. Sie haben eingeräumt, Anfang 2014 die Datensätze zu N. D., das ist die Tochter ihres Freundes, aus Neugier aufgerufen zu haben.

5. Sie haben ferner eingeräumt, 2014 die Daten von Frau Sch., ehemals V. aufgerufen zu haben.

An der Richtigkeit der von Ihnen eingeräumten Verstöße besteht kein vernünftiger Zweifel.

Aufgrund eines Hinweises von Frau D. Sch. vom 4. Dezember 2013 bezüglich des Verdachts einer unberechtigten Weitergabe von Meldedaten durch die Klägerin an ihren Lebensgefährten, den vormaligen Ehemann von Frau Sch., begannen seinerzeit beim beklagten Land Ermittlungen. Nachdem mehrere Versuche des Bezirksamtes, eine qualifizierte Auskunft vom Landesamt für B...

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