Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Betriebsvereinbarung. Anrechnung von Vordienstzeiten nach Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (redaktionell)
1. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmungen an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Regelung der Vorzug, der zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt.
2. Die Auslegung der BV AHiV und und der Richtlinie Vordienstzeiten ergibt, dass mit der Anrechnung von Vordienstzeiten bei einem Wiedereintritt nach Unterbrechung der Arbeitgeber die Betriebstreue belohnen will, die ein ausgeschiedener Arbeitnehmer durch seine Rückkehr zum Unternehmen zeigt. Der Arbeitgeber will auch die für ihn damit verbundenen Vorteile belohnen, da dieser Arbeitnehmer bereits mit den Strukturen und der Unternehmenskultur des Arbeitgebers aus seinem früheren Arbeitsverhältnis vertraut war.
Normenkette
BV Altersversgung; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; RL Vordienstzeiten Nr. 2.2. Fassung: 1977-01-05, Nr. 3.2.1. Fassung: 1977-01-05
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.04.2021; Aktenzeichen 29 Ca 2551/21) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.04.2021 - 29 Ca 2551/21 - abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.699,89 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich aus jeweils 261,11 EUR seit dem 01.02.2020, 01.03.2020, 01.04.2020, 01.05.2020, 01.06.2020, 01.07.2020, 01.08.2020, 01.09.2020, 01.10.2020, 01.11.2020, 01.12.2020, 01.01.2021, 01.02.2021, 01.03.2021, 01.04.2021, 01.05.2021, 01.06.2021 und 01.07.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend mit dem Monat Juli 2021 eine monatliche Betriebsrente von insgesamt 3.193,89 EUR brutto im Erlebensfall zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe der dem Kläger zustehenden Betriebsrente.
Der am ... 1954 geborene Kläger war bei der Beklagten sowie deren Rechtsvorgängerin, der S AG, beschäftigt. Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann bei der S AG vom 1. April 1976 bis 21. Februar 1978 war er aufgrund Arbeitsvertrages vom 6. Februar/2. März 1978 als Sachbearbeiter Einkauf Chemie vom 22. Februar 1978 bis zum 30. April 1979 bei der S AG beschäftigt. Der Kläger kündigte sein Arbeitsverhältnis mit Schreiben von November 1978 unter Hinweis auf die beabsichtigte Aufnahme eines Studiums zum 30. April 1979 und informierte die Beklagte im Verlauf der Kündigungsfrist ausweislich des ihm am 5. April 1979 erteilten Zeugnisses, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 52 d.A.), über die anstehende Aufnahme eines Studiums der Betriebswirtschaftslehre.
Der Kläger absolvierte sein Studium der Betriebswirtschaftslehre von Mai 1979 bis zum 31. Oktober 1984. Ab dem 1. November 1984 war er erneut aufgrund Arbeitsvertrages vom 19./29. Oktober 1984 bei der S AG beschäftigt und wurde zunächst befristet für die Dauer von drei Jahren in der Sachbearbeitung Personalpolitik eingesetzt. In Ziffer 5 des Arbeitsvertrages vom 19./29. Oktober 1984 vereinbarten die damaligen Arbeitsvertragsparteien das Folgende:
Bei der Errechnung der Höhe der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenrente nach der entsprechenden Betriebsvereinbarung werden zusätzlich 3 Jahre Ihrer Ausbildung als anrechenbare Dienstjahre angesehen werden. Bei der Feststellung, ob ein Rentenanspruch oder eine unverfallbare Anwartschaft erworben wurde, bleiben diese Jahre außer Betracht.
Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass diese Regelung, die die S AG auch in Arbeitsverträgen mit anderen Hochschulabsolventen verwendet hat, sich auf eine Anrechnung von drei Jahren der Ausbildungszeit während des Studiums bezieht.
Anlässlich des Wechsels des Klägers aus dem Bereich Personalpolitik in den Bereich Einkauf Chemie zum 1. Januar 1991 schlossen die damaligen Vertragsparteien einen weiteren Arbeitsvertrag vom 23. November 1990. In Ziffer 2.4 dieses Arbeitsvertrages wiederholten sie die in Ziffer 5 des Arbeitsvertrages von Oktober 1984 vereinbarte Regelung, in Ziffer 2.1 stellten sie fest, dass im Hinblick auf Ansprüche aus der Arbeits- und Sozialordnung, der Betriebsvereinbarung über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung oder Gesetz als Eintrittstag der 1. November 1984 gelte. Auf den weiteren Inhalt des Arbeitsvertrages vom 23. November 1990 wird Bezug genommen (Bl. 94 ff. d.A.).
In der Arbeits- und Sozialordnung der S AG (nachfolgend: ASO) ist unter Ziffer 2.10 zum Dienstalter der Beschäftigten geregelt, dass dieses sich vom Eintrittsdatum ableite...