Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame betriebsbedingte Kündigung wegen Betriebsstilllegung bei laufenden Verhandlungen über Betriebsveräußerung
Leitsatz (amtlich)
1. Betriebsstilllegung und Betriebsveräußerungen schließen sich systematisch aus. Gleiches gilt daher auch für geplante Maßnahmen.
2. An dem erforderlichen endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung fehlt es, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung noch in Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebes steht.
3. Gleiches gilt, wenn für derartige Verhandlungen noch ein Unternehmensberater engagiert wird und potenzielle Investoren noch durch den Betrieb geführt werden.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 Sätze 1, 1 Alt. 3; BGB § 613a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Cottbus (Entscheidung vom 10.10.2013; Aktenzeichen 12 Ca 10313/13) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus (Kammern Senftenberg) vom 10.10.2013 - 12 Ca 10313/13 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.04.2013 nicht aufgelöst worden ist.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 30 % und die Beklagte zu 70 % zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung, den vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch und hilfsweise einen Wiedereinstellungsanspruch.
Der Kläger war seit dem 23. Mai 2005 bei der Beklagten als Mitarbeiter Einbau gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.648,06 € beschäftigt. Arbeitsvertraglich war geregelt, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, dem Kläger bei unveränderten Bezügen auch mit anderen, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten zu betrauen, und dies auch für eine Tätigkeit an einem anderen Ort sowie bei einer anderen Beteiligungsgesellschaft im Inland der S. Sch. Industrie AG gilt.
Die Beklagte fertigte und montierte Stahlrohrtürme für Windkraftanlagen und beschäftigte zuletzt ca. 160 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1. Juli 2012 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Am 25. März 2013 teilte die Beklagte ihrer alleinigen Gesellschafterin mit, dass die Geschäftsführung die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, den Geschäftsbetrieb zum 30. Juni 2013 einzustellen. Mit Schreiben vom 5. April 2013 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigte Betriebsstilllegung. Am 12. April 2013 fand eine erste Besprechung hierzu statt, wobei die Beklagte die Ergebnisse im Schreiben vom 17. April 2013 zusammenfasste. Darin heißt es u. a., dass aus insolvenzrechtlichen Gründen die Betriebsstilllegung zum 30. Juni 2013 geplant sei. Frau K. habe über den Stand der Verhandlungen mit potenziellen Investoren berichtet. Es hätten sich bisher acht Interessenten gemeldet. Zu deren Information sei ein Datenraum eingerichtet worden. In den nächsten Tagen würden die Unterlagen durch die Interessenten im Rahmen einer Due Diligence geprüft.
Mit Schreiben vom 22. April 2013 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Am 25. April 2013 erklärte der Betriebsrat, er werde keine Stellungnahme abgeben.
Unter dem 24. April 2013 erstellte eine Unternehmensberatungsfirma gegenüber der Beklagten eine Rechnung in Höhe von 29.750,-- € für noch zu erbringende Leistungen im Mai 2013. Dies betreffe "Leistungen der Unterstützung des M&A-Prozesses", insbesondere das Führen von Investorengesprächen vor Ort, das Einholen von Angeboten sowie die Unterstützung bei Verkaufsverhandlungen.
Am 26. April 2013 unterzeichneten die Beklagte und der Betriebsrat einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan. In der Präambel zu dem Interessenausgleich heißt es, dass der Arbeitgeber sich bemühen werde, die Verkaufsverhandlungen mit Interessenten fortzusetzen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. In § 2 ist ferner geregelt, dass die Beklagte sich um neue Aufträge bemühen werde.
Mit Schreiben vom 29. April 2013 erstattete die Beklagte bei der Agentur für Arbeit in Cottbus eine Massenentlassungsanzeige und fügte u. a. das Informationsschreiben an den Betriebsrat vom 5. April 2013, 17. April 2013 sowie den unterschriebenen Interessenausgleich und Sozialplan in Kopie bei. Mit Schreiben vom 6. Juni 2013 bestätigte die Agentur für Arbeit den Eingang der Anzeige am 29. April 2013 und teilte mit, die Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 KSchG beginne am 30. April 2013 und ende am 29. Mai 2013.
Unter dem 29. April 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. Juli 2013. Dieses Schreiben erhielt der Kläger am nächsten Tag. Gleichzeitig stellte sie ihn ab dem 1. Juli 2013 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung widerruflich frei. Zeitgleich kündigte die Beklagte allen übrigen Arbeitnehmerinnen...