Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichbehandlung bei der Entlohnung. Sachfremde Gruppenbildung bei der Differenzierung nach gewerblichen und kaufmännischen Beschäftigten. Zahlungsklage einer Servicemitarbeiterin bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zu unterschiedlichen Einarbeitungszeiten
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Arbeitgeberin, die in ihrem Betrieb nach von ihr gesetzten allgemeinen Regeln freiwillige Leistungen gewährt, ist an den arbeitsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung gebunden. Auch im Bereich der Arbeitsvergütung ist der Gleichbehandlungsgrundsatz unter Beachtung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit bei individuellen Entgeltvereinbarungen anwendbar, wenn die Arbeitgeberin die Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem sie bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt.
2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet der Arbeitgeberin nicht nur eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Beschäftigter gegenüber anderen Beschäftigten in vergleichbarer Lage. Bildet die Arbeitgeberin Gruppen von begünstigten und benachteiligten Beschäftigten, muss die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entsprechen.
3. Sind für verschiedene Beschäftigtengruppen unterschiedliche Rechte oder Pflichten vorgesehen, verlangt der Gleichheitssatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Ist die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt, kann die übergangene Beschäftigtengruppe verlangen, nach Maßgabe der begünstigten Beschäftigtengruppe behandelt zu werden.
4. Der Statusunterschied zwischen gewerblichen und kaufmännischen Beschäftigten ist keine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung beider Personengruppen. Die daran anknüpfende Unterscheidung beruht für sich genommen nicht auf sachgerechten Erwägungen.
5. Keine sachfremde Gruppenbildung liegt vor, wenn sich nach dem Zweck der Leistung Gründe ergeben, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, der einen Beschäftigtengruppe Leistungen vorzuenthalten, die der anderen Gruppe eingeräumt worden sind. Auch eine unterschiedliche Behandlung von gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten kann dann gerechtfertigt sein, wenn mit der Anknüpfung an den Statusunterschied gleichzeitig auf einen Lebenssachverhalt abgestellt wird, der geeignet ist, die Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen, was am Regelungszweck und dem aus ihm folgenden Differenzierungsgrund zu messen ist.
6. Eine Differenzierung zwischen kaufmännischen und sonstigen Beschäftigten kann gerechtfertigt sein, wenn ein Weggang der kaufmännischen Beschäftigten zu besonderen Belastungen führt und die Arbeitgeberin diese Beschäftigtengruppe mit der höheren Zahlung stärker an den Betrieb binden will. Dabei muss es sich um ein objektives tatsächliches Bedürfnis handeln.
7. Eine Arbeitgeberin, die sich auf ein objektives tatsächliche Bedürfnis für eine Differenzierung zwischen kaufmännischen und sonstigen Beschäftigten beruft, hat zugeschnitten auf ihren Betrieb darzulegen, aus welchen Gründen ein Bedürfnis für eine stärkere Bindung der kaufmännischen Beschäftigten besteht. Erforderlich sind Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können.
8. Erheblich längere Einarbeitungszeiten können ein Bedürfnis nach stärkerer Bindung begründen. Eine Differenzierung nach Bindungsinteresse aufgrund von unterschiedlichen Einarbeitungszeiten setzt voraus, dass für Beschäftigte im kaufmännischen Bereich gegenüber Beschäftigten im gewerblichen Bereich erheblich unterschiedliche Einarbeitungszeiten anfallen.
9. Selbst einem Unterschied von vier bis sieben Wochen gegenüber drei bis vier Monaten Einarbeitungszeit kommt bei auf Dauer ausgerichteten Arbeitsverhältnissen kein ausreichendes Gewicht zur Rechtfertigung der Gruppenbildung zu.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG Potsdam (Entscheidung vom 26.07.2016; Aktenzeichen 3 Ca 2045/15) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Potsdam vom 26.07.2016 - 3 Ca 2045/15 - die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 1.220,04 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag von 915,03 EUR seit dem 25.12.2015 und auf einen Betrag in Höhe von 305,01 EUR seit dem 21.05.2016 zu zahlen. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 6,42 %, die Beklagte 93,58 % bei einem Streitwert von 2.862,12 EUR, von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz trägt die Klägerin 1,48 %, die Beklagte 98,52 % bei einem Streitwert von 2.780,67 EUR.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe eines Urlaubsgeldes, einer Jahressonderzahlung und von vermögenswirksamen Leistungen.
Die Klägerin ist seit 18. Oktober 2007 bei der Beklagten als Servicemitarbeiterin/Bereitstellerin beschäftigt. Sie be...