Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Kündigung einer Film-Editorin. Weisungsabhängigkeit und Eingliederung in einen Betrieb als Merkmale eines Arbeitsverhältnisses. Einbeziehung des TV für Film- und Fernsehschaffende ins Arbeitsverhältnis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Parteien haben ein Arbeitsverhältnis begründet, da eine weisungsabhängige Eingliederung ins Unternehmen stattgefunden hat.

2. Die Parteien haben den Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende in das Arbeitsverhältnis einbezogen; dann aber ist eine ordentliche Kündigung nach Ablauf der sechswöchigen Probezeit nicht möglich, zumal ohnehin eine Befristung vereinbart wurde.

 

Normenkette

TzBfG § 15 Abs. 3; TV FFS Nr. 2.1; BGB §§ 293-294; ZPO § 92 Abs. 2; ZÜP § 139

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 28.08.2020; Aktenzeichen 6 Ca 7322/19)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 01.03.2022; Aktenzeichen 9 AZB 38/21)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. August 2020 - 6 Ca 7322/19 abgeändert:

1.

Es wird festgestellt, dass das Vertragsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung vom 29. Mai 2019 nicht zum 30. Juni 2019 aufgelöst worden ist.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, für den Zeitraum vom 1. Juli 2019 bis 14. Juli 2019 eine Bruttogage von 3.600,00 EUR abzüglich erhaltenem Arbeitslosengeld in Höhe von 977,90 EUR netto, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2019 zu zahlen.

II. Die weitergehende Berufung der Klägerin (hinsichtlich des Zinsbeginns) zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

IV. Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.650,00 EUR festgesetzt.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit einer fristgemäßen Arbeitgeberkündigung und Annahmeverzugsvergütung für 2 Wochen.

Die Klägerin ist 55 Jahre alt und Film-Editorin. Die Beklagte als Firma in der Film- und Fernsehproduktion hatte den Auftrag, 6 Folgen der Fernsehserie "Bonusfamilie" zu erstellen. Dabei waren sich die Parteien einig, dass die Klägerin im Rahmen dieser Produktion für die Beklagte tätig werden sollte. Nach der Kommunikation zwischen Ende 2018 und Mitte März 2019 sollte die Klägerin in der Zeit vom 15. April 2019 bis zur Beendigung der Produktion, voraussichtlich am 20. August 2019, für die Beklagte tätig werden.

Zu einem schriftlichen Vertrag zwischen den Parteien kam es nicht. Der Entwurf eines befristeten Anstellungsvertrages wurde der Klägerin übersandt. Dieser sah in Ziffer 12.1 vor:

Es wird eine Probezeit von 6 Wochen vereinbart. Während dieser gilt eine Kündigungsfrist von 2 Wochen.

Darüberhinaus war nur die außerordentliche Kündigung vorgesehen.

Diesen Vertragsentwurf änderte bzw. kommentierte die Klägerin an 8 Stellen und sandte diese veränderte Fassung von ihr unter dem 4. April 2019 unterzeichnet an die Beklagte zurück. Mit E-Mail vom 16. April 2019 und 23. April 2019 tauschten sich der Herstellungsleiter der Beklagten und die Klägerin zu den von der Klägerin angemerkten Punkten aus. Zur Ziffer 6 (Arbeitszeit/Mehrarbeit/Zeitkonto) teilte der Herstellungsleiter u.a. mit:

"Es gelten die Regelungen des Tarifvertrages".

Dazu teilte die Klägerin mit:

"Einverstanden. Ich war ohnehin davon ausgegangen, dass die Regelungen des Tarifvertrages gelten. Nur sollte es dann auch so im Vertrag stehen und nicht anders."

Zur von der Klägerin gewünschten Streichung der Probezeit hatte der Herstellungsleiter geantwortet "nein".

Darauf antwortete die Klägerin:

"Eine solche Probezeit hätte mit mir vereinbart werden müssen, wurde aber in mehreren Verhandlungsgesprächen noch nicht einmal thematisiert. Wäre sie thematisiert worden, hätte ich sie abgelehnt. Es tut mir leid, aber dieser Punkt ist für mich, nachdem ich aufgrund unserer Vereinbarungen bereits andere Projekte habe absagen müssen, nicht mehr verhandelbar."

Zu einer schriftlichen Vereinbarung zwischen den Parteien kam es nicht.

Die Klägerin nahm am 15. April 2019 ihre Tätigkeit auf. Die Beklagte zahlte der Klägerin eine Vergütung von 1.800 EUR brutto pro Woche. In den Abrechnungen wurde jeweils ein Bruttotagessatz von 360 EUR abgerechnet. Auf diesen Betrag zahlte die Beklagte jeweils Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben.

Mit Schreiben vom 29. Mai 2019 kündigte die Beklagte das "seit dem 15. April 2019 bestehende unbefristete Arbeitsverhältnis" ordentlich zum 30. Juni 2019. Ab dem 21. Juni 2019 gewährte die Beklagte der Klägerin den Urlaub von 6 Tagen. Bis zum 30. Juni 2019 rechnete die Beklagte das Vertragsverhältnis ab.

Die Klägerin meint, dass sie nicht als Arbeitnehmerin, sondern als freie Mitarbeiterin tätig geworden sei. Zwischen den Parteien sei ein während der Laufzeit ordentlich nicht kündbares Vertragsverhältnis vereinbart worden. Selbst wenn es ein Arbeitsverhältnis sei, könne die Beklagte sich nicht auf die fehlende Schriftform der Befristung berufen. Denn in diesem Fall würde das als Arbeitnehmerschutzrecht kon...

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