Entscheidungsstichwort (Thema)
Benachteiligungsverbot nach AGG. Mitgliedschaft bei Verdi keine Weltanschauung im Sinne des AGG. Keine Entschädigungsansprüche bei Maßregelung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG besteht nicht, da keine Benachteiligung aus weltanschaulichen Gründen vorliegt.
2. Die Mitgliedschaft bei Verdi ist keine Weltanschauung im Sinne des § 1 AGG.
3. Die Rechtsfolge einer Maßregelung in Form der Nichtverlängerung des Arbeitsvertrags begründet Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB. Raum für Entschädigungsansprüche, die ohnehin gesetzlich festgelegt sein müssen, besteht dabei nicht. Denn § 612a BGB ist gerade kein solcher gesetzlicher Fall.
Orientierungssatz
Orientierungssatz
1. Eine Benachteiligung durch Unterlassen kommt in Betracht, wenn ein Arbeitgeber ein befristetes Arbeitsverhältnis wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nicht verlängert.
2. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und die Betätigung für den Abschluss von Tarifverträgen ist keine Weltanschauung im Sinne von § 1 AGG.
3. Durch § 612a BGB wird auch die Ausübung von Grundrechten, wie die freie Meinungsäußerung nach Art 5 Abs 1 GG und die Freiheit zur gewerkschaftlichen Betätigung nach § 9 Abs 3 S 1 und S 2 GG, erfasst.
4. Das Maßregelungsverbot ist nur dann verletzt, wenn zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
5. Dem Arbeitgeber steht es im Rahmen seiner durch Art 12 und 14 GG geschützten unternehmerischen Freiheit frei, zu entscheiden, ob er durch Drittmittel finanzierte Projekte nach Ablauf der Finanzierung weiterführen will beziehungsweise, ob über den Fristablauf hinaus weitere Fördermittel beantragt werden.
6. Rechtsfolge des Verstoßes gegen das Maßregelverbot ist ein Schadensersatzanspruch, nicht ein Anspruch auf Entschädigung.
Normenkette
BGB § 612a; AGG § 15 Abs. 2, § 3 Abs. 1 S. 1, § 1; BGB § 823 Abs. 2; AGG § 3 Abs. 1; BGB § 253 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 27.01.2021; Aktenzeichen 55 Ca 2554/20) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 27. Januar 2021 - 55 Ca 2554/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Entschädigung.
Die Klägerin war bei der Beklagten auf der Grundlage eines auf zwei Jahre sachgrundlos bis zum 31.12.2019 befristeten Arbeitsvertrages in dem Projekt "Mobile Bildungsberatung für geflüchtete Frauen" in Teilzeit zu einem Bruttomonatsverdienst von 2.305,12 Euro in Anlehnung an den TV-L tätig. Während ihrer Beschäftigungszeit engagierte sich die Klägerin in einer Tarifkampagne von ver.di "Für die gute Sache! Aber zu welchem Preis?".
Das Projekt "Mobile Bildungsberatung für geflüchtete Frauen" war mit Mittel des Landes Berlin finanziert und auf den 31.12.2019 befristet. Die Beklagte beantragte keine Verlängerung der Finanzierung und ließ das Projekt mit dem 31.12.2019 auslaufen. Nachdem die Klägerin in einem Gespräch vom 30.09.2019 darauf hingewiesen wurde, dass ihr Arbeitsverhältnis mit Fristablauf enden werde, machte sie mit einem Schreiben ihrer Gewerkschaft vom 28.11.2019 Entschädigungsansprüche in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern mit der Begründung geltend, die Nichtverlängerung erfolge aufgrund der gewerkschaftlichen Betätigung bei der Beklagten. Auf andere freie Stellen bei der Beklagten bewarb sich die Klägerin nicht.
Mit der vorliegenden, beim Arbeitsgericht am 28.02.2020 eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin diesen Entschädigungsanspruch mit der Begründung gerichtlich weiter, die Nichtverlängerung des Arbeitsvertrages verstoße gegen das Maßregelungsverbot, weil die Beklagte das Projekt allein deshalb nicht fortgeführt habe, weil sie und zwei weitere Mitarbeiterinnen sich in der Tarifkampagne von ver.di engagiert hätten. Die Beklagte habe ursprünglich vorgehabt, das Projekt in 2020 fortzuführen. Sie habe dies dann allein aus sachwidrigen und willkürlichen Gründen nicht getan, um die Mitarbeiter nicht weiterbeschäftigen zu müssen, die sich gewerkschaftlich engagiert hätten.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.01.2021, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Entschädigungsanspruch analog § 15 AGG sei nicht gegeben. Die Beklagte habe nicht gegen das Maßregelungsverbot in § 612 a BGB verstoßen. Unstreitig sei das Projekt bis zum 31.12.2019 befristet gewesen und nicht verlängert worden. Damit sei zugleich die Möglichkeit der weiteren Beschäftigung aller sechs für dieses Projekt und dessen Dauer befristet eingestellten Mitarbeiter, einschließlich der Klägerin, entfallen. Soweit die Klägerin Behauptungen aufstelle, die indizieren sollten, dass die gewerkschaftliche Tätigkeit von ihr und zwei anderen Mitgliedern der Gruppe Grund und Anlass der von der Beklagten unterlassenen Fortsetzung des ...