Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortbestand des Arbeitsverhältnisses einer ordentlich kündbaren Arbeitnehmerin bei Schließung einer Betriebskrankenkasse
Leitsatz (redaktionell)
1. § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V fingiert den Fortbestand der Betriebskrankenkasse, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert; die Zweckänderung vom operativen Geschäft zur Abwicklung führt nicht zum Wegfall eines Rechtsträgers und zur Neugründung eines anderen.
2. Das Arbeitsverhältnis einer ordentlich kündbaren Arbeitnehmerin endet nicht gemäß § 155 Abs. 4 Satz 9 in Verbindung mit § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V kraft Gesetzes, da eine ordentlich kündbare Arbeitnehmerin vom Anwendungsbereich dieser Norm nicht erfasst wird.
3. Wortlaut und Systematik des § 164 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach die Arbeitsverhältnisse der nicht nach Abs. 3 Untergebrachten mit dem Tag der Schließung enden, lassen die Schlussfolgerung zu, dass sich die Vorschrift nur auf tariflich unkündbare Beschäftigte bezieht; soweit § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V bestimmt, dass die in § 164 Abs. 2 bis 4 SGB V für den Fall der Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse geregelten gesetzlichen Vorschriften für Betriebskrankenkassen entsprechend gelten mit der Maßgabe, dass § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V nur für Beschäftigte gilt, deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann, ist in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift auf die Schließung einer Betriebskrankenkasse allen Beschäftigten, die nicht Dienstordnungsangestellte sind und deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann, bei dem Landesverband der Betriebskrankenkassen oder einer anderen Betriebskrankenkasse eine Stellung anzubieten, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist.
4. Die Schließung einer Betriebskrankenkasse allein reicht nicht aus, um den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses aller Beschäftigten zum Zeitpunkt der Schließung zu begründen, wenn aus dem Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit zahlreichen Beschäftigten deutlich wird, dass für Abwicklungsarbeiten noch für einen längeren Zeitraum eine Beschäftigungsmöglichkeit besteht; zur Darlegung dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG reicht dieser Sachvortrag nicht aus.
Normenkette
SGB V § 164 Abs. 4, § 155 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 9, § 164 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 09.02.2012; Aktenzeichen 59 Ca 8263/11) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.02.2012 - 59 Ca 8263/11 - abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Schließung der C. BKK am 30.06.2011 geendet hat;
2. es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der C. BKK vom 10.08.2011 zum 31.03.2012 nicht aufgelöst worden ist;
II. Von den Kosten erster Instanz haben bei einem Kostenstreitwert von 13.107,00 Euro die Klägerin 9,1 % und die Beklagte 90,9 % zu tragen. Von den Kosten der Berufungsinstanz haben bei einem Kostenstreitwert von 13.901,37 Euro die Klägerin 14,3 % und die Beklagte 85,7 % zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund gesetzlicher Anordnung zum 30.06.2011 oder der vorsorglich durch die Beklagte erklärten ordentlichen Kündigung vom 10.08.2011 beendet worden ist.
Die Klägerin war zunächst ab dem 01.01.1999 bei der BKK Berlin, die zunächst mit der BKK Hamburg und später mit zwei weiteren Betriebskrankenkassen zur C. BKK fusionierte, als Angestellte in Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden beschäftigt gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 1.985,91 €. Sie befand sich ab September 2010 bis zum 31.08.2012 in Elternzeit.
Nach Anzeige der Überschuldung erließ das Bundesversicherungsamt am 04.05.2011 einen Schließungsbescheid; die C. BKK wurde zum 30.06.2011 geschlossen. Mit dem Schreiben vom 06.05.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung der Kasse gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V zum 30.06.2011 ende. Nach Einholung der Zulässigkerklärung des Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Schreiben vom 10.08.2011 vorsorglich ordentlich zum 31.03.2012.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die gegen eine "Kündigung" vom 06.05.2011 und eine solche vom 19.05.2011 gerichtete Klage mit dem am 09.02.2012 verkündeten Urteil, auf dessen Tatbestand zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird (Bl. 208 bis 211 d.A.), abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der als allgemeiner Feststellungsantrag auszulegende Klageantrag zu 1), mit dem sich die Klägerin gegen eine Beendigung zum 30....