Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist gem. § 102 Abs. 5 BetrVG. Anhörung des Betriebsrats vor einer Kündigung. Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats gegen eine Kündigung. Das Widerspruchsrecht des Betriebsrats nach § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen, wenn der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung nach § 102 Abs. 3 BetrVG frist- und ordnungsgemäß widersprochen und der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist.
2. Sinn und Zweck der Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG ist nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern die Anhörung soll ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (vgl. BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - BAGE 152, 118-126 - Rn. 14). - Hieraus folgt im Übrigen auch, dass der Inhalt der Unterrichtung grundsätzlich subjektiv determiniert ist, der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben.
3. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG verlangt für einen Weiterbeschäftigungsanspruch nicht nur einen fristgerechten, sondern ausdrücklich auch einen ordnungsgemäßen Widerspruch. In § 102 Abs. 3 BetrVG werden bestimmte Widerspruchsgründe normiert. Demnach ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift, dem ausdrücklich normierten Erfordernis des ordnungsgemäßen Widerspruchs und dem gesetzlichen Regelungszusammenhang des § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG mit § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG, dass der Betriebsrat seinen Widerspruch auf bestimmte Tatsachen stützen muss, die sich einem der in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Widerspruchsgrund zuordnen lassen müssen. Denn andernfalls wird es dem Arbeitgeber weder ermöglicht, seine Kündigungsabsicht unter Berücksichtigung der Einwendung des Betriebsrats zu überprüfen, noch kann das Gericht feststellen, ob ein Widerspruch offensichtlich unbegründet ist. Erst durch die Angabe von Tatsachen wird der Arbeitgeber in die Lage versetzt, die Stichhaltigkeit der vom Betriebsrat erhobenen Einwendungen und eine Einschätzung der Erfolgsaussicht eines möglichen Weiterbeschäftigungsverlangens des Arbeitnehmer zu prüfen (vgl. zB APS/Koch BetrVG § 102 Rn. 189 mwN, Richardi BetrVG/Thüsing BetrVG § 102 Rn. 189ff. mwN).
4. Gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG kann der Betriebsrat der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen setzt ein ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrats, der auf diesen Grund gestützt wird, demnach voraus, dass sich dem Widerspruchsschreiben entnehmen lässt, welche Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen aus Sicht des Betriebsrats eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ermöglichen (vgl. LAG Hessen 11. Juni 2012 - 17 Sa 1374/11 - zitiert nach juris). Der Betriebsrat hat darzulegen, welche für den Arbeitgeber zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme, an der der Arbeitnehmer bereit ist teilzunehmen, dessen Weiterbeschäftigung auf dem bisherigen oder auf einem anderen freien Arbeitsplatz ermöglicht (vgl. hierzu Richardi BetrVG/Thüsing BetrVG § 102 Rn. 196). Nach Auffassung der Kammer muss der Betriebsrat zwar nicht zwingend eine ganz konkrete Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme und deren Anbieter benennen. Aber den Angaben des Betriebsrats im Widerspruchsschreiben muss jedenfalls entnommen werden können, auf welchen Schulungsgegenstand sich die Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme erstrecken soll, und welche Kenntnisse und Fertigkeiten durch eine Umschulungs- bzw. Fortbildungsmaßnahme vermittelt werden sollen. Ohne entsprechende Angaben wird der Arbeitgeber nicht in die Lage versetzt, sich mit den Einwendungen des Betriebsrats inhaltlich auseinanderzusetzen.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 5 S. 1, Abs. 3 Nrn. 4, 3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 24.01.2019; Aktenzeichen 54 Ga 319/19) |
Tenor
Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. Januar 2019 - 54 Ga 319/19 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über einen Weiterbeschäftigungsanspruch, nachdem der Betriebsrat einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Verfügungsklägers (nachfolgend: Kläger) widersprochen hatte.
Der am ... 1965 geborene Kläger, der ledig und keinen Personen zum Unterhalt verpflichtet ist, ist seit dem 19. Mai 2011 bei der Verfügungsbeklagten (nachfolgend Beklagte) bzw. deren Rechtsvorgängerin bes...