Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des Betriebsbegriffs in § 1 KSchG. Kündigung wegen vollständiger Stilllegung des Inlandsbetriebes der Beklagten „Betriebe” im Sinne von § 1 KSchG sind nur die in der Bundesrepublik Deutschland liegenden organisatorischen Einheiten bzw. Teile eines Unternehmens. Auslegung des Betriebsbegriffs i.S.v. § 1 KSchG
Leitsatz (redaktionell)
„Betriebe” i.S.v. § 1 KSchG sind nur die in der Bundesrepublik Deutschland liegenden organisatorischen Einheiten bzw. Teile eines Unternehmens.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 17.12.2010; Aktenzeichen 25 Ca 7691/10) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. Dezember 2010 – 25 Ca 7691/10 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Auflösung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses durch eine Kündigung der Beklagten.
Die Beklagte ist die ungarische Fluglinie mit Hauptsitz in Budapest, eine Kapitalgesellschaft nach ungarischem Recht. In Deutschland verfügte sie zuletzt über vier Büros (München, Berlin-Stadt, Berlin Flughafen und Hamburg Flughafen) und beschäftigte im Kündigungszeitpunkt insgesamt 17 Arbeitnehmer, davon acht im Berliner Stadtbüro und zwei am Flughafen Tegel.
Der am 24.12.1946 in Ungarn geborene, verheiratete Kläger, dessen erwachsener Sohn nach einem Unfall pflegebedürftig und mit einem Grad der Behinderung von 100 schwerbehindert ist, war seit 25.03.1985 als Stationsleiter/ Airport Manager am Flughafen Tegel für die Beklagte tätig. Der Kläger spricht fließend ungarisch.
In dem zuletzt abgeschlossenen, undatierten Arbeitsvertrag des Klägers heißt es in § 2 „Tätigkeit” u. a.:
„Der Mitarbeiter wird als Stationsleiter eingestellt.
…
Der Mitarbeiter ist damit einverstanden, nach Bedarf auch andere Arbeiten zu übernehmen, die seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entsprechen und sich ggf. in eine andere Abteilung oder Betriebsstätte von M. versetzen zu lassen. Macht M. hiervon Gebrauch, so richtet sich nach Ablauf eines Monats die Vergütung nach der neu zugewiesenen Tätigkeit. …”
Der Kläger und sein weiterer am Flughafen Tegel tätiger Kollege hatten die Aufgabe, die Flüge und die Airport Handling Companies zu beaufsichtigen und zu kontrollieren und sich um die organisatorische Abwicklung insbesondere bei Verspätungen, Überbuchungen und Stornierungen zu kümmern. Der Kläger nahm regelmäßig an Lehrgängen in Ungarn teil.
Mit am 08.09.2009 notariell beglaubigtem Beschluss (Bl. 45 bis 47 d. A./ Übersetzung Bl. 108 bis 111 d. A.) entschied die Geschäftsleitung der Beklagten, sämtliche ausländische Repräsentanzen in darin namentlich aufgeführten Ländern, darunter Deutschland, zu schließen.
Seit dem 18.02.2010 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig krank.
Ende April 2010 kündigte die Beklagte sämtliche Arbeitsverhältnisse ihrer in Deutschland tätigen Arbeitnehmer unter Einhaltung der jeweiligen Kündigungsfristen, mit Ausnahme der Schwerbehinderten und der in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse sie nach Einholung der behördlichen Zustimmungen im Juni 2010 kündigte. Ebenso erklärte sie die Kündigung der Mietverhältnisse über die Büros (Kopien der Kündigungsschreiben bzgl. der Büroräume in Hamburg, Berlin Flughafen zum 31.07.2010 und Berlin Stadt, Bl. 48 bis 50 d. A.), wobei das Mietverhältnis über das Berliner Stadtbüro aufgrund eines Zeitmietvertrages erst zum 31.03.2011 beendet werden konnte.
Den Flugbetrieb von Frankfurt/ Main, Berlin, Hamburg und Stuttgart nach Budapest setzte die Beklagte fort.
Mit Schreiben vom 22.04.2010 (Bl. 8 d. A.), das dem Kläger am 29.04.2010 zuging, erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.
Dagegen hat sich die am 17.05.2010 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangene Klage gerichtet.
Der Kläger hat behauptet, seine Tätigkeit falle nicht weg. Es sei nicht möglich bzw. ineffektiv, seine Tätigkeiten vom Geschäftssitz der Beklagten in Budapest aus fortzuführen. In Medieninterviews sei geäußert worden, dass eine erwogene Schließung der Auslandsbüros überprüft werde.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis
durch die Kündigung der Beklagten vom 22.04.2010 nicht aufgelöst wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, sie gebe ihre Präsenz in Deutschland vollständig auf. Die Positionen der Stationsleiter seien aufgrund des Beschlusses vom 08.09.2009 deutschlandweit gestrichen worden. Die Abfertigung der Flüge aus Deutschland erfolge vollständig durch die Airport Handling Company, eigenes Personal sei nicht erforderlich. Die Kontrolle der Airport Handling Companies erfolge vom Hauptsitz der Beklagten in Budapest aus. Die Organisation der Abwicklung bei Flugkomplikationen erfolge durch ein Callcenter in Budapest und die A. H. C. G..
Mit Urteil vom 17.12.2010 – 25 Ca 7691/10 –, auf dessen Tatbestand (Bl. 140 bis 142 d. A.) Bezug ge...