Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung gewährter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Erschütterung des Beweiswertes einer ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arbeitgeber durch von ihm darzulegende und ggf. zu beweisende Umstände
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rechtsstreit über die Rückforderung vom Arbeitgeber gezahlter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall konkretisieren sich die Darlegungslasten zur Leistungskondiktion wie folgt:
Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss der Arbeitgeber durch von ihm darzulegende und ggf. zu beweisende Umstände in ihrem Beweiswert erschüttern.
Ansonsten widerlegt sie das behauptete Fehlen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.
Außerdem muss der Arbeitgeber konkreten Vortrag des Arbeitnehmers zu den Umständen der Erkrankung und einer daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit ggf. durch erfolgreiche Beweisführung widerlegen.
2. Erklärt sich der Arbeitnehmer nicht zu den konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit, so gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei nicht infolge Krankheit arbeitsunfähig gewesen, und damit die Rechtsgrundlosigkeit der Entgeltfortzahlung als zugestanden.
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1 S. 1; EFZG § 3; ZPO § 138 Abs. 2; BGB § 138
Verfahrensgang
AG Cottbus (Entscheidung vom 16.11.2023; Aktenzeichen 1 Ca 1125/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 16. November 2023 - 1 Ca 1125/22 - dahin abgeändert, dass der Kläger auf die Widerklage der Beklagten hin verurteilt wird,
- an die Beklagte 3.363,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Oktober 2023 zu zahlen;
- den ihm zustehenden Erstattungsanspruch gegen die Salus BKK wegen Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 27. Oktober 2022 bis 30. November 2022 gemäß § 26 Absatz 3 SGB IV an die Beklagte abzutreten.
II. Die Kosten des Berufungsverfahren hat der Kläger zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 14 % und die Beklagte 86 % zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rückzahlung gewährter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Beklagte beschäftigte den Kläger seit dem 15. November 2021 als Produktionsleiter.
Am 26. Oktober 2022 kündigte der Geschäftsführer der Beklagten, Herr S, dem Kläger mündlich das Arbeitsverhältnis.
Am 27. Oktober 2022 meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank. Seit diesem Tag arbeitete er nicht mehr für die Beklagte.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2022, dem Kläger am selben Tag zugegangen, erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2022.
Der Kläger übersandte der Beklagten ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (Anl. B5 und B6 zum Schriftsatz der Beklagten vom 13. Oktober 2023, Bl. 94 und 96 dA) als Erstbescheinigung über die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit am 27. Oktober 2022 seit diesem Tag bis zum 10. November 2022 und als Folgebescheinigung vom 9. November 2022 über eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. November 2022.
Am 12. November 2022 war der Kläger im Rahmen eines Handballspiels als Spieler aktiv. Am 19. November 2022 war der Kläger bei einem Handballspiel Schiedsrichter.
Die Beklagte leistete an den Kläger als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum ab dem 27. Oktober 2022 für zwei Arbeitstage im Oktober 2022 371,42 EUR brutto und für November 2022 3.900 EUR brutto. Über das Entgelt für Oktober und November 2022 erteilte sie dem Kläger Abrechnungen (Anlage BK1 und BK2 Berufungsbegründung, Bl. 148f dA).
Mit am 18. Oktober 2023 zugestellter Widerklage hat die Beklagte die Rückzahlung der für Oktober und November 2022 geleisteten Entgeltfortzahlung gerichtlich geltend gemacht. Sie hat behauptet, der Kläger habe sie über das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit getäuscht. Tatsächlich sei der Kläger nicht arbeitsunfähig krank gewesen. Hierfür sprächen der zeitliche Zusammenhang zur mündlichen Kündigung und dessen sportliche Aktivitäten. Somit habe der Kläger die Entgeltfortzahlung zu Unrecht erhalten und sie könne sie als Bruttobetrag zurückverlangen.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 4.271,42 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Oktober 2023 zu zahlen.
Der Kläger hat die Abweisung der Widerklage beantragt.
Mit Urteil vom 16. November 2023 hat das Arbeitsgericht die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Beklagte habe keinen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus der Vorschrift zur ungerechtfertigten Bereicherung in § 812 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Kläger habe die Leistung nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) zu Recht erhalten. Er sei im Arbeitsverhältnis arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Maßgebend seien die ärztlich...