Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung von ausländischen Pflegekräften in deutschen Privathaushalten. Mehrarbeit als vergütungspflichtiger Bereitschaftsdienst. Anspruch auf Mindestlohn auch für weitere Stunden für ausländische private Haushaltskräfte. Konkludente Billigung von Mehrarbeit durch Arbeitgeber. Erheblichkeit der Gesamtumstände für Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn bei weiteren Betreuungsstunden in privatem Haushalt
Leitsatz (redaktionell)
Erbringt eine rumänische Haushalts- und Pflegekraft zur Betreuung eines Pflegebedürftigen im Privathaushalt mehr als die vertraglich vereinbarten Stunden - hier dreißig -, so ist der nach deutschem Recht einschlägige Mindestlohn auch für die Mehr- und Überstunden zu zahlen, soweit sie vom Arbeitgeber angeordnet sind oder sie ihm zumindest zugerechnet werden können. Werden die Mehrstunden konkludent gebilligt, so ist in jedem Fall von Arbeitszeit in Form eines Bereitschaftsdienstes auszugehen.
Normenkette
AEntG 2009 § 2 Nr. 1; MiLoG § 1 Abs. 1, § 20; EGV 593/2008 Art. 9 Abs. 1; EGRL 71/96 Art. 3 Abs. 1; MiLoG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1; ZPO §§ 286-287, 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 22.08.2019; Aktenzeichen 44 Ca 11017/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 22. August 2019 - 44 Ca 11017/18 - teilweise abgeändert und insgesamt - teilweise zur Klarstellung - wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 39.206,25 Euro (neununddreißigtausendzweihundertsechs Euro fünfundzwanzig Cent) brutto abzüglich 6.680,00 Euro (sechstausendsechshundertachtzig Euro) netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. November 2018 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten der I. Instanz haben die Klägerin zu 19,58 % und die Beklagte zu 80,42 % zu tragen. Die Kosten der Berufung und der Revision haben die Klägerin zu 9,54 % und die Beklagte zu 90,46 % zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über Ansprüche auf Differenzvergütung nach dem Mindestlohngesetz für die Zeit vom 1. Mai bis zum 31. August 2015 und vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2015 mit Ausnahme des 20. und 30. Juli 2015 sowie des 2., 9., 24. und 31. August 2015.
Die 1951 geborene Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Bulgarien. Sie war ab dem 21. Juni 2013 zunächst bei der A - BG OOD, einem in Bulgarien ansässigen Unternehmen, als Sozialassistentin mit 40 Stunden pro Woche beschäftigt und wurde nach Deutschland entsandt. Dort war sie als Pflege- und Haushaltskraft in Privathaushalten zunächst in Koblenz und Bonn und ab dem 8. Januar 2014 bei Frau B, einer über 90-jährigen, zwischenzeitlich verstorbenen betreuungsbedürftigen Dame, in deren Wohnung in einer Seniorenwohnanlage in Berlin tätig. Die Klägerin erhielt dort auch Kost und Logis. Geschäftsführer der A - BG OOD war der jetzige Geschäftsführer der Beklagten, Herr C, zusammen mit einem Partner. Diese führten im Jahr 2013 auch das Bewerbungsgespräch mit der Klägerin.
Unter dem 8. April 2015 schloss die Klägerin mit der Beklagten, einem ebenfalls in Bulgarien ansässigen Unternehmen, einen in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag als Sozialassistentin über 30 Stunden pro Woche mit Wirkung ab dem 15. April 2015 und betreute mit einer Unterbrechung vom 15. bis zum 30. April 2015 weiterhin Frau B in deren Wohnung in Berlin, wo sie auch weiterhin wohnte und ihre Mahlzeiten einnahm.
Der Arbeitsvertrag lautet in deutscher Übersetzung auszugsweise wie folgt:
"Ab 15.04.2015:
1. Das Unternehmen beauftragt den Arbeitnehmer mit der Aufgabe, in PCAS OOD, U, Wohnanlage D K, Block 48, Eingang A, Beschäftigungsort: U, Wohnanlage D K, Block 48, Eingang A, Dienstposten - Sozialassistent auszuführen, Code nach dem Nationalen Klassifikator der Dienstposten: 53221003, Arbeitskategorie - drei, mit Probezeit von 6 Monaten, Teilarbeitszeit - 6 Stunden, pro Woche - 30 Stunden bei den Bedingungen der summierten Abrechnung der Arbeitszeit.
Grundstundenbelohnung - 16.62 BGN für jede von dem Arbeitnehmer abgediente Stunde.
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Die Vergütung wird jeden Monat mit einer Frist bis zum letzten Arbeitstag des Monats, der den Monat, für welche sie gezahlt wird, ausbezahlt.
Charakter der Arbeit - laut Dienstcharakteristik, die unzertrennlicher Teil des Arbeitsvertrages ist.
2. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, mit der Arbeit am 15.04.2015 zu beginnen.
3. Die Kündigungsfrist bei Beendigen des Arbeitsvertrages wird auf 30 Tage festgelegt und ist gleich für die beiden Vertragsseiten.
4. Höhe des bezahlten Jahresurlaub - 20 Arbeitstage
5. Sonstige Bedingungen des Arbeitsvertrages:
- Die Probezeit ist zu Gunsten des Arbeitgebers,
- Dem Arbeitnehmer wird für Teilzeitarbeit je 16,62 BGN pro Stunde bezahlt, wobei jeden Tag die Teilzeitbeschäftigung abgerechnet, auf Grundlage welcher die Monatsvergütung bestimmt wird.
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