Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung ehrenamtlicher Richter während des Sitzungsdienstes bei Gleitzeitregelungen
Leitsatz (amtlich)
1. Ehrenamtliche Richterinnen und Richter haben grundsätzlich für die Dauer ihrer Heranziehung gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf Entgeltzahlung nach § 616 Satz 1 BGB
2. § 616 BGB ist durch § 29 TVöD z.T. abbedungen.
3. Unter Arbeitszeit i.S.d. § 29 Abs. 2 TVöD ist im Falle von Gleitzeitregelungen nicht ausschließlich die Kernarbeitszeit zu verstehen.
Normenkette
BGB §§ 611, 616; PersVG Brandenburg § 45 Abs. 2, 4; TVöD § 29 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Potsdam (Urteil vom 23.01.2006; Aktenzeichen 3 Ca 2115/06) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom … 23.01.2006 – 3 Ca 2115/06 – wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anzahl der der Klägerin angesichts ihres Einsatzes als ehrenamtlicher Richterin bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg für den 1. Juni 2006 (Sitzungstag, Donnerstag) gutzuschreibenden Stunden, vier Stunden unter Berücksichtigung der Kernarbeitszeit oder sieben Stunden entsprechend der tatsächlich für den Sitzungsdienst zusätzlich aufgewandten Zeit.
Die Klägerin ist bei dem Beklagten mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Stunden/Wo-che angestellt und freigestellte Personalratsvorsitzende. In der Dienstvereinbarung 12/2000 über die Arbeitszeit bei dem Beklagten sind – im Zusammenhang mit einer Gleitzeitregelung – für Vollzeitbeschäftigte Kernarbeitszeit, Normalarbeitszeit sowie frühester und spätester Arbeitsbeginn festgelegt. Es werden Arbeitszeitkonten geführt. Für Teilzeitbeschäftigte sieht Nr. 4 der Dienstvereinbarung die individuelle Vereinbarung der Normal- und Kernarbeitszeiten vor. Die Parteien vereinbarten am 21. September 2001 für donnerstags jeweils eine Normalarbeitszeit von 7:30 bis 15:30 Uhr und eine Kernarbeitszeit von 9:00 bis 11:30 Uhr bzw. von 13:30 Uhr bis 14:00 Uhr. Mit Schreiben vom 2. März 2006 stellte der Beklagte die Klägerin angesichts ihrer Personalratsaufgaben von der bisherigen Tätigkeit frei. Sie arbeitet donnerstags regelmäßig nicht unter sieben Stunden.
Die Klägerin nahm am 1. Juni 2006 von 8:30 Uhr bis 15:00 Uhr an einer Sitzung des LAG Brandenburg (ohne Pause) teil. An- und Rückfahrt von ihrem Wohnort zum LAG Brandenburg betrugen jeweils eine Stunde. Für die Fahrt zu ihrer Arbeitsstelle benötigt sie ansonsten 45 Minuten. Ihren Entschädigungsanspruch nach dem JVEG gegen das Land trat sie an den Beklagten ab. Der Beklagte schrieb ihr für diesen Tag auf dem Arbeitszeitkonto vier Stunden gut.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 (TVöD) Anwendung.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, sie könne (nach § 29 Abs. 2 TVöD) eine Anrechnung – und damit Vergütung – der tatsächlich für ihre Tätigkeit als ehrenamtliche Richterin aufgewandte Zeit beanspruchen, nicht nur der vier Kernarbeitsstunden. Sie verweist auch auf Nr. 3.6. der Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit, wonach – was insoweit unstreitig ist – bei ganztägigen Arbeitsbefreiungen, denen ein gesetzlicher Anspruch zugrunde liegt, die Normalarbeitszeiten als Arbeitszeiten zu berechnen sind. Das ergebe sich auch aus § 45 Abs. 1a Deutsches Richtergesetz (DRiG). An den Sitzungstagen sei es ihr nicht möglich, über ihre Zeit zu disponieren. Auch seien § 29 Abs. 2 TVöD und § 52 BAT inhaltsverschieden, so dass die zu § 52 ergangene Rechtsprechung nicht übertragen werden könne.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, auf ihrem Arbeitszeitkonto für den 1. Juni 2006 drei weitere Arbeitsstunden gutzuschreiben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, § 29 Abs. 2 TVöD sehe eine Vergütungspflicht nur für die Fälle vor, in denen aufgrund der Kernarbeitszeiten an sich eine Anwesenheitspflicht bestehe. Nur insoweit sei eine Freistellung von Arbeitszeit möglich. Werde die ehrenamtliche Tätigkeit außerhalb der Kernarbeitszeit erbracht, liege sie in der Freizeit, in der sie an sich nach § 6 Abs. 1 b TVöD auch auszuüben sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen damit begründet, das Vorgehen des Beklagten verstoße gegen das Benachteiligungsverbot des § 26 Abs. 1 2. Hs. ArbGG iVm. § 45 Abs. 1a Satz 1 und 2 DRiG. Hierunter fielen sämtliche Nachteile, die die ehrenamtliche Richterin ohne Übernahme oder Ausübung des Amtes nicht zu tragen hätte. Die Klägerin sei aufgrund des Vorgehens des Beklagten gehalten, drei nicht berücksichtigte Stunden nach- bzw. vorzuarbeiten. Die ehrenamtliche Richterin sei aber nach § 45 Abs. 1a Satz 2 DRiG gerade für die Zeit ihrer Amtstätigkeit freizustellen. Bei der Arbeitszeit sei auf den individuellen zeitlichen Arbeitsumfang der ehrenamtlichen Richterin abzustellen, hier wöchentlich 35 Stunden, und den konk...