Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus Titeln der Einzugsstelle der Sozialkassen des Baugewerbes. Rechtsfolgen der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages. Begriff der Änderungskündigung i.S. von § 2 S. 1 KSchG. Rechtliche Einordnung einer Kündigung verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis auf einen anderen Arbeitgeber zu übertragen und bei diesen zu geänderten Bedingungen fortzusetzen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages kann nicht in entsprechender Anwendung der §§ 79 Abs. 2 BVerfGG, § 47 Abs. 5, 183 VwGO im Wege der Zwangsvollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckung aus einem zu Gunsten der ULAK ergangenen rechtskräftigen Titel geltend gemacht werden.

 

Normenkette

ArbGG § 98; BVerfGG § 79 Abs. 2; VwGO § 47 Abs. 5, § 183; ZPO § 767

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 15.03.2018; Aktenzeichen 66 Ca 80700/17)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15.03.2018 (66 Ca 80700/17) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung des Beklagten in seiner Funktion als tarifvertraglich bestimmte Einzugsstelle der Sozialkassen des Baugewerbes aus gegen den Kläger ergangenen Vollstreckungstiteln.

Gegen den Kläger erging zu Gunsten des Beklagten am 01.10.2015 ein Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts Berlin betreffend Beitragsansprüche für die Monate Dezember 2010 bis Januar 2015 (66 Ca 61222/14). Ferner ergingen gegen ihn zu Gunsten des Beklagten ein Vollstreckungsbescheid vom 12.04.2016 betreffend Verzugszinsen gemäß Rechnung vom 02.01.2015 (4 Ba 50119/15) und ein Vollstreckungsbescheid vom 10.06.2016 betreffend Beitragsansprüche für die Monate Dezember 2012 sowie Februar 2015 bis November 2015.

Mit Beschlüssen vom 21.09.2016 und vom 25.01.2017 (BAG v. 21.09.2016 - 10 ABR 33/15; BAG v. 25.01.2017 - 10 ABR 43/15; BAG v. 25.01.2017 - 10 ABR 34/15; BAG v. 21.09.2016 - 10 ABR 48/15) stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen (im Folgenden: AVE) der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (im Folgenden: Verfahrenstarifverträge) mit den Gültigkeitszeiträumen u. a. für die Jahre 2010 bis 2014 unwirksam seien.

Mit der am 03.05.2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Anerkenntnisurteil vom 01.10.2015 sowie den Vollstreckungsbescheiden vom 12.04.2016 und vom 10.06.2016 geltend gemacht. Er hat vorgetragen, die Entscheidungen des BAG über die Unwirksamkeit der AVE hätten aufgrund analoger Anwendung des § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG einen Grund zur Hinderung der Zwangsvollstreckung geschaffen. Auf das später in Kraft getretene Sozialkassensicherungsgesetz (SoKaSiG) könne sich der Beklagte wegen dessen Verfassungswidrigkeit nicht berufen.

Der Kläger hat beantragt,

1. Die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 01.10.2015, Az. 66 Ca 61222/14, aus dem Vollstreckungsbescheid vom 10.06.2016, Az. 4 Ba 40645/16 sowie aus dem Vollstreckungsbescheid vom 12.04.2016, Az. 4 Ba 50119/15 wird für unzulässig erklärt.

2. Der Beklagte wird verurteilt, die erteilte vollstreckbare Ausfertigung der genannten Urteile beziehungsweise die Vollstreckungsbescheide an den Kläger herauszugeben.

3. Gemäß § 770 ZPO wird angeordnet, dass die Vollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 01.10.2015, Az. 66 Ca 61222/14, aus dem Vollstreckungsbescheid vom 10.06.2016, Az. 4 Ba 40645/16 sowie aus dem Vollstreckungsbescheid vom 12.04.2016, Az. 4 Ba 50119/15 einstweilen eingestellt wird.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, eine Restitutionsklage sei unstatthaft. Jedenfalls aber seien die titulierten Ansprüche nach dem SoKaSiG gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 15.03.2018 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stünden keine Einwendungen gem. § 767 Abs. 2 ZPO zu, die erst nach dem Schluss der Verfahren entstanden seien, in dem die gerichtlichen Entscheidungen ergangen seien. Soweit das BAG nachträglich festgestellt habe, dass den Zeitraum 2010 bis 2014 betreffende, vorliegend anspruchsbegründende Tarifverträge nicht wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden seien, rechtfertige die daraus folgende fehlerhafte Anwendung des Rechts durch das Gericht nicht die Durchbrechung des Grundsatzes der Rechtskraft. Eine analoge Anwendung der §§ 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, 183 VwGO komme nicht in Betracht, da die diesen Vorschriften zugrunde liegende Konstellation mit der des vorliegenden Rechtsstreits nicht vergleichbar sei. Beide Vorschriften beträfen verfassungsgerichtlich für verfassungswidrig erklärte, von Parlamenten beschlossene Gesetze. Zudem beinhalte die Feststellung der Unwirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung nicht die Aussage, ...

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