Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG

 

Leitsatz (redaktionell)

Das SokaSiG verstößt weder gegen das im Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG statuierte Rückwirkungsverbot, noch gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Die Regelungen des SokaSiG sind daher geeignet, Ansprüche auch für die Zeit vor seinem Inkrafttreten zu begründen.

 

Normenkette

SokaSiG § 7 Abs. 1; GG Art. 20; VTV §§ 15, 18; SokaSiG § 7 Abs. 3, § 9 S. 1; GG Art. 20 Abs. 3; VTV-Bau

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.12.2017; Aktenzeichen 65 Ca 83316/16)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.12.2017 - 65 Ca 83316/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Sozialkassenbeiträge für den Zeitraum von Dezember 2015 bis September 2016.

Der Kläger ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft, eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er hat nach den tariflichen Regelungen des Baugewerbes - nach näherer tarifvertraglicher Maßgabe im Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) - die Aufgabe, die Auszahlung der tariflichen Urlaubsvergütung an Arbeitnehmer der Bauwirtschaft zu sichern. Zur Finanzierung seiner Leistungen erhebt er Beiträge von Arbeitgebern im tariflichen Anwendungsbereich.

Der Beklagte montierte im streitgegenständlichen Zeitraum in seinem Betrieb mit mindestens zwei gewerblichen Arbeitnehmern arbeitszeitlich überwiegend genormte Baufertigteile. Er ist nicht Mitglied eines der tarifschließenden Verbände des Baugewerbes.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Mindestbeiträgen für zwei Arbeitnehmer im Zeitraum von Dezember 2015 bis März 2016 in Anspruch, im verbundenen Verfahren 65 Ca 84064/16 für den Zeitraum von April bis Mai 2016, im verbundenen Verfahren 65 Ca 80122/17 für den Zeitraum von Juni bis Juli 2016 und im verbundenen Verfahren 65 Ca 80581/17 für den Zeitraum von August bis September 2016.

Der VTV ist über einen langen Zeitraum und auch im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund von Allgemeinverbindlicherklärungen (AVE) für sämtliche seinem Geltungsbereich unterfallenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer für allgemeinverbindlich erklärt worden. So ist der VTV vom 03.05.2013 in der Fassung vom 10.12.2014 (VTV 2015) durch AVE vom 06.07.2015 mit Wirkung vom 01.01.2015 für allgemeinverbindlich erklärt worden und ist der VTV vom 03.05.2013 in der Fassung vom 24.11.2015 (VTV 2016) durch AVE vom 04.05.2016 mit Wirkung vom 01.01.2016 für allgemeinverbindlich erklärt worden.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit rechtskräftigem Beschluss vom 04. August 2015 (7 BVL 5007/14 und 7 BVL 5008/14) die Wirksamkeit der AVE des VTV für das Jahr 2006 festgestellt. Durch rechtskräftige Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 (10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15) und vom 25.01.2017 (10 ABR 34/15 und 10 ABR 43/15) ist die Unwirksamkeit der AVE festgestellt worden, mit denen der VTV 2008, 2010, 2012, 2013 (I und II) und 2014 für allgemeinverbindlich erklärt worden war. Die Wirksamkeit der AVE 2015 hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg durch Beschluss vom 21.07.2016 (14 BVL 5007/15, 14 BVL 5003/16, 14 BVL 5004/15, 14 BVL 5005/16) festgestellt. Das Bundesarbeitsgericht hat die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 21.03.2018 (10 ABR 62/16) zurückgewiesen. Die Wirksamkeit der AVE 2016 hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg durch Beschluss vom 12.12.2017 (16 BVL 5012/16) festgestellt. Über die gegen diese Entscheidung erhobene Rechtsbeschwerde (10 ABR 12/18) hat das Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden.

Zur Sicherung der Sozialkassenverfahren ist nach den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 ein Gesetzgebungsverfahren am 13.12.2016 durch das Einbringen des Gesetzentwurfs in den Bundestag von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD (BT-Drucks. 18/10631) eingeleitet worden. Die erste Lesung fand am 15.12.2016 statt, am 26.01.2017 verabschiedete der Bundestag das Gesetz. Am 25.05.2017 ist das Gesetz zur Sicherung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe (SokaSiG) vom 16.05.2017 (Bundesgesetzblatt I 2017, 1210) in Kraft getreten. Es sieht in § 7 Abs. 1 und 2 SokaSiG i.V.m. den Anlagen 26 und 27 zum SokaSiG vor, dass die Rechtsnormen des VTV in den hier relevanten Zeiträumen von Dezember 2015 bis September 2016 im Geltungsbereich des VTV für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten.

Der Kläger hat sich erstinstanzlich darauf gestützt, der Beklagte unterfalle dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV, weil er Baufertigteile montiere, und habe Sozialkassenbeiträge zu leisten. Er hat seine Ansprüche ursprünglich auf §§ 15, 18 VTV und auf dessen Allgemeinverbindlichkeit aufgrund der AVE im streitgegenständlichen Zeitraum gestützt. Mit Schriftsatz vom 14.07.2017 hat er sich erstinst...

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