Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG
Leitsatz (redaktionell)
Das SokaSiG verstößt weder gegen das im Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG statuierte Rückwirkungsverbot, noch gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Die Regelungen des SokaSiG sind daher geeignet, Ansprüche auch für die Zeit vor seinem Inkrafttreten zu begründen.
Normenkette
SokaSiG § 7; VTV § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37, §§ 15, 18; GG Art. 20; SokaSiG § 7 Abs. 3, § 9 S. 1; GG Art. 20 Abs. 3; VTV-Bau
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.12.2017; Aktenzeichen 65 Ca 80162/16) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.12.2017 - 65 Ca 80162/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Sozialkassenbeiträge für den Zeitraum von Dezember 2010 bis September 2015.
Der Kläger ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft, eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er hat nach den tariflichen Regelungen des Baugewerbes - nach näherer tarifvertraglicher Maßgabe im Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) - die Aufgabe, die Auszahlung der tariflichen Urlaubsvergütung an Arbeitnehmer der Bauwirtschaft zu sichern. Zur Finanzierung seiner Leistungen erhebt er Beiträge von Arbeitgebern im tariflichen Anwendungsbereich.
Der Beklagte montierte im streitgegenständlichen Zeitraum in seinem Betrieb mit ein bis vier gewerblichen Arbeitnehmern arbeitszeitlich überwiegend Fenster (Baufertigteile) sowie Türen und Innentüren. Er ist nicht Mitglied eines der tarifschließenden Verbände des Baugewerbes.
Der Kläger nahm den Beklagten ursprünglich auf Zahlung von Mindestbeiträgen für zwei Arbeitnehmer im Zeitraum von Dezember 2010 bis September 2014 - im verbundenen Verfahren 65 Ca 80544/16 für den Zeitraum von Juni bis September 2015 - in Anspruch. Nachdem der Beklagte mitgeteilt hatte, welche Jahresbruttolohnsummen die bei ihm beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer im Zeitraum 2010 bis 2015 jeweils erzielten, machte der Kläger auf der Grundlage dieser Zahlen und unter Klagerücknahme im Übrigen Sozialkassenbeiträge für den Zeitraum von Dezember 2010 bis September 2015 geltend.
Der VTV ist über einen langen Zeitraum und auch im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund mehrerer Allgemeinverbindlicherklärungen (AVE) für sämtliche seinem Geltungsbereich unterfallenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer für allgemeinverbindlich erklärt worden. So ist der VTV vom 18.12.2009 (VTV 2010) durch AVE vom 25.06.2010 für allgemeinverbindlich erklärt worden, der VTV vom 18.12.2009 in der Fassung vom 21.12.2011 (VTV 2012) ist durch AVE vom 03.05.2012 für allgemeinverbindlich erklärt worden, der VTV vom 18.12.2009 in der Fassung vom 17.12.2012 (VTV 2013 I) ist durch AVE vom 29.05.2013 für allgemeinverbindlich erklärt worden, der VTV vom 03.05.2013 (VTV 2013 II) ist durch AVE vom 25.10.2013 (in der berichtigten Fassung vom 13.03.2014) für allgemeinverbindlich erklärt worden, der VTV vom 03.05.2013 in der Fassung vom 03.12.2013 (VTV 2014) ist durch AVE vom 17.03.2014 für allgemeinverbindlich erklärt worden und der VTV vom 03.05.2013 in der Fassung vom 10.12.2014 ist durch AVE vom 06.07.2015 mit Wirkung vom 01.01.2015 für allgemeinverbindlich erklärt worden.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit rechtskräftigem Beschluss vom 04. August 2015 (7 BVL 5007/14 und 7 BVL 5008/14) die Wirksamkeit der AVE des VTV für das Jahr 2006 festgestellt. Durch rechtskräftige Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 (10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15) und vom 25.01.2017 (10 ABR 34/15 und 10 ABR 43/15) ist die Unwirksamkeit der AVE festgestellt worden, mit denen der VTV 2008, 2010, 2012, 2013 (I und II) und 2014 für allgemeinverbindlich erklärt worden war. Die Wirksamkeit der AVE 2015 hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg durch Beschluss vom 21.07.2016 (14 BVL 5007/15, 14 BVL 5003/16, 14 BVL 5004/15, 14 BVL 5005/16) festgestellt. Das Bundesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 21.03.2018 (10 ABR 62/16) zurückgewiesen.
Zur Sicherung der Sozialkassenverfahren ist nach den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 ein Gesetzgebungsverfahren am 13.12.2016 durch das Einbringen des Gesetzentwurfs in den Bundestag von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD (BT-Drucks. 18/10631) eingeleitet worden. Die erste Lesung fand am 15.12.2016 statt, am 26.01.2017 verabschiedete der Bundestag das Gesetz. Am 25.05.2017 ist das Gesetz zur Sicherung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe (SokaSiG) vom 16.05.2017 (Bundesgesetzblatt I 2017, 1210) in Kraft getreten. Es sieht in § 7 Abs. 3 - 7 SokaSiG i.V.m. den Anlagen 28 - 32 zum SokaSiG vor, dass die Rechtsnormen des VTV in den hier relevanten Zeiträumen von Dezember 2010 bis Dezember 2014 im Geltungsbereich des VTV für alle A...