Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung der Außensozietät ohne Ansicht des Innenverhältnisses. Analoge Anwendung des § 32 Abs. 1 BORA bei alleiniger Fortführung der Zweiersozietät durch Inhaber/in. Erfolg der Befriedigungsverfügung bei dringlichem Interesse oder nicht nachholbarer Leistungserbringung sowie bei überwiegendem Abwägungsinteresse. Ausscheiden eines angestellten Rechtsanwalts aus Sozietät. Fragerecht der weiteren Mandatsbetreuung gegenüber allen Mandanten für ausscheidenden Rechtsanwalt
Leitsatz (amtlich)
1. Unterhalten mehrere Rechtsanwält*innen eine Außen- oder Scheinsozietät, kommt es für die Frage, ob es sich bei der Beendigung ihrer Zusammenarbeit um einen Fall der Auflösung der (Außen-)Sozietät im Sinne des § 32 Absatz 1 BORA oder einen Fall des Ausscheidens aus der (Außen-)Sozietät im Sinne des § 32 Absatz 2 BORA handelt, nicht darauf an, wie im Innenverhältnis ihre Zusammenarbeit rechtlich, organisatorisch oder wirtschaftlich ausgestaltet war.
2. Auf die Beendigung einer aus nur zwei Rechtsanwält*innen bestehenden Außensozietät ist nach § 32 Absatz 3 BORA der Absatz 1 des § 32 BORA auch dann entsprechend anzuwenden, wenn Grundlage der Zusammenarbeit ein Arbeitsverhältnis war und die Kanzlei nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von dem oder der Inhaber*in fortgeführt wird.
3. Eine auf die Erfüllung eines Anspruchs gerichtete Befriedigungsverfügung ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil dadurch die Entscheidung über die Hauptsache vorweggenommen wird. Voraussetzung für eine solche einstweilige Verfügung ist, dass die antragstellende Partei auf die Erfüllung des Anspruchs dringend angewiesen ist, die geschuldete Leistung kurzfristig erbracht werden muss, weil sie sonst ihren Sinn verliert, und bei der Abwägung der beiderseitigen schutzwürdigen Interessen das Interesse der antragstellenden Partei an dem Erlass der einstweiligen Verfügung das der anderen Partei an deren Nichterlass deutlich überwiegt.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2; BORA § 32; ZPO §§ 935, 940, 138 Abs. 2, §§ 936, 938
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Entscheidung vom 15.07.2020; Aktenzeichen 2 Ga 6/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 15. Juli 2020 - 2 Ga 6/20 - teilweise abgeändert:
1. Dem Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, dem Verfügungskläger eine Liste mit allen am 31. Juli 2020 laufenden Mandaten der "Fachanwaltskanzlei A" in Papierform zu übergeben, und zwar mit Vor- und Nachnamen oder der Firma, der postalischen Anschrift, dem Namen des Gegners, soweit es sich nicht um eine Straf- oder Bußgeldsache handelt, und dem Kanzlei-Aktenzeichen, unter dem das Mandat in der Rechtsanwaltssoftware "RA M" angelegt worden war, ausgenommen folgende Mandate:
..........
2. Es wird festgestellt, dass sich das Verfahren bezüglich der unter 1. ausgenommenen Mandate erledigt hat.
3. Der Widerantrag wird zurückgewiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Zusammenhang mit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses - soweit für das vorliegende Teilurteil von Bedeutung - noch darüber, ob sie eine Außensozietät im Sinne des § 32 Absatz 3 BORA (Berufsordnung für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs) unterhalten haben und sich der Verfügungskläger darauf berufen darf, sowie über damit im Zusammenhang stehende gegenseitige Ansprüche auf Mitteilung der Daten der laufenden Mandate und auf Unterlassen der Versendung eines Mandantenschreibens mit einem bestimmten Inhalt.
Der Verfügungskläger ist seit 2006/2007 Fachanwalt für Sozialrecht und Verkehrsrecht und seit 2018 auch für Medizinrecht und war seit dem 12. Juni 2003 bei dem Verfügungsbeklagten, der Fachanwalt für Arbeitsrecht und Strafrecht ist und seit 1994 eine Rechtsanwaltskanzlei in Brandenburg an der Havel betreibt, als Rechtsanwalt im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt. In § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 12. Juni 2003 war geregelt, dass der Verfügungskläger ab dem Zeitpunkt seiner Zulassung als Rechtsanwalt auf dem Briefkopf der Kanzlei geführt wird. Zuletzt verdiente der Verfügungskläger 4.500,00 Euro brutto monatlich zuzüglich eines 13. Monatsgehalts und der privaten Nutzung eines Dienstwagens. Weitere Rechtsanwält*innen beschäftigte der Verfügungsbeklagte nicht.
Der Verfügungskläger bearbeitete überwiegend Mandate aus den Bereichen Sozialrecht, Verkehrsrecht und Medizinrecht. Außerdem bearbeitete er Mandate aus dem allgemeinen Zivilrecht und Versicherungsrecht und arbeitete regelmäßig an arbeitsrechtlichen Fällen aus dem Dezernat des Verfügungsbeklagten mit.
Auf dem Briefkopf der unter dem Namen "Fachanwaltskanzlei A" firmierenden Kanzlei waren der Verfügungskläger und der Verfügungsbeklagte seit vielen Jahren mit ihren jeweiligen Fachanwaltstiteln und eigenem Sekretariat als gleichberechtigte Partner ohne Hinweis auf das bestehende Arbeitsverhältnis aufgeführt. Das Kanzleischi...