Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbleibende Zuständigkeit der Agentur für Arbeit bei wiederholter Massenentlassung. Rechtmäßige Folgekündigung des Insolvenzverwalters Air Berlin
Leitsatz (amtlich)
Auch nach Stilllegung eines Betriebes im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie bleibt die für den Sitz dieses Betriebes zuständige Arbeitsagentur im Falle vorsorglicher Folgekündigungen die für die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Absatz 3 KSchG zuständige Behörde, solange die Beschäftigten dieses Betriebes keiner anderen betrieblichen Einheit zugeordnet werden.
Normenkette
KSchG §§ 1, 17; BGB § 134; BetrVG § 117 S. 1; InsO § 113
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 21.06.2021; Aktenzeichen 23 Ca 14289/20) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. Juni 2021 (23 Ca 14289/20) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit ordentlicher betriebsbedingter Kündigungen.
Die klagende Partei ist bei der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) seit dem 01. Dezember 2016 als Flugbegleiterin mit dienstlichem Einsatzort in Düsseldorf gegen ein durchschnittliches Bruttoentgelt in Höhe von circa 2.188,62 EUR nach Maßgabe des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 17. November 2016 (Blatt 46 ff der Akte) beschäftigt. Die Schuldnerin war eine Fluggesellschaft mit Sitz in Berlin. Sie unterhielt inländische Stationen an den Flughäfen Berlin-Tegel, Köln-Bonn, Dresden, Dortmund, Düsseldorf, Erfurt-Weimar, Münster/Osnabrück, Frankfurt am Main, Hannover-Langenhagen, Hamburg, Leipzig/Halle, München, Nürnberg, Paderborn/Lippstadt und Stuttgart. An jeder dieser Stationen war Kabinen-, Cockpit- und Bodenpersonal stationiert, insgesamt beschäftigte die Schuldnerin Mitte August 2017 6.121 Personen. Der Flugverkehr wurde in operativer, technischer und organisatorischer Hinsicht von der Unternehmenszentrale in Berlin gesteuert, für die jeweiligen Stationen waren Beschäftigte des Kabinen- und Cockpitpersonals mit Zusatzfunktionen als "Regionalmanager" und "Areamanager" zuständig, die begleitende Funktionen bei Personalgesprächen, Einstellungen und Änderungen von Arbeitsverträgen und dabei Weisungen der Leitung in Berlin umzusetzen hatten. Für das Cockpitpersonal war gemäß § 117 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) durch Abschluss des Tarifvertrags "Personalvertretung für das Cockpitpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG" (im Folgenden: TV PV Cockpit) eine Personalvertretung gebildet worden (im Folgenden: PV Cockpit). Für das Kabinenpersonal wurde durch den Tarifvertrag "Personalvertretung für das Kabinenpersonal der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG" (im Folgenden: TV PV Kabine) die Personalvertretung Kabine (im Folgenden: PV Kabine) errichtet. Die regional zuständigen Betriebsräte (Boden Nord, West und Süd) sowie der Gesamtbetriebsrat vertraten das Bodenpersonal.
Die Schuldnerin schloss ferner mit der Gewerkschaft ver.di den Tarifvertag: Pakt für Wachstum und Beschäftigung vom 08. Dezember 2016 (im Folgenden: TV Pakt), der unter anderem den Erhalt von Arbeitsplätzen sowie den Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplänen vorsieht. Er regelt in § 2 Absatz 2:
A. Berlin geht bei erfolgreicher Umsetzung der Transformation nicht davon aus, betriebsbedingte Beendigungskündigungen durchführen zu müssen. Sollten diese, egal aus welchen Gründen, dennoch unvermeidbar werden, ist deren Ausspruch erst nach Abschluss eines Sozialtarifvertrages mit ver.di über einen Interessenausgleich und Sozialplan zulässig, der sich auf das gesamte Kabinenpersonal auf der Grundlage der Betriebszugehörigkeit ausrichtet.
Die Schuldnerin flog sowohl im eigenen Flugbetrieb sowie im sogenannten "Wet-Lease" für die E. GmbH und andere Fluggesellschaften. Dabei wurden Flugzeuge mitsamt Besatzung von der E. GmbH geleast. Am 14. Februar 2017 schloss die Schuldnerin mit der PV Kabine einen Rahmen-Interessenausgleich zur Umstrukturierung der A. Berlin, welcher die Aufgliederung der Schuldnerin in "New a." sowie eine das Wet-Lease für andere Fluggesellschaften umfassende "ACMIO Operation" betraf und eine Zuordnung des Kabinenpersonals zu den jeweiligen Bereichen vorsah, die in der Folgezeit allenfalls teilweise umgesetzt wurde.
Am 15. August 2017 beantragte die Schuldnerin beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, der Beklagte wurde am 16. August 2017 zum vorläufigen Sachwalter bestellt und es wurde ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt. Am 12. Oktober 2017 unterzeichneten der Executive Director der Schuldnerin, der Beklagte und ein für die Schuldnerin bestellter Generalbevollmächtigter eine gemeinsame Erklärung, wonach der operative Flugverkehr zum 28. Oktober 2017 eingestellt werden und das danach für die E. GmbH noch mit 13 Flugzeugen zu erbri...