Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichten des Arbeitgebers vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines auf einem unbehebbaren körperlichen Mangel beruhenden Unvermögens zur Erbringung der Arbeitsleistung. Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Erfolges eines nicht durchgeführten betrieblichen Eingliederungsmanagements
Leitsatz (amtlich)
1. Sieht eine Regelung die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei einem auf einem unbehebbarem körperlichen Mangel beruhenden Unvermögen zur Erbringung der Arbeitsleistung und dem Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit vor, so wirkt sich die trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 SGB IX nicht vorgenommene Durchführung eines bEM auf die Darlegungs- und Beweislast aus. Es gelten dann für die Darlegungs- und Beweislast die hinsichtlich der krankheitsbedingten Kündigung entwickelten Grundsätze.
2. Ist ein eigentlich erforderliches bEM unterblieben, trägt der Arbeitgeber die primäre Darlegungslast für dessen Nutzlosigkeit. Er hat von sich aus alle denkbaren oder vom Arbeitnehmer ggf. außergerichtlich genannten Beschäftigungsalternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt.
Normenkette
TzBfG § 14; KSchG § 1; SGB IX § 84
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 06.04.2017; Aktenzeichen 31 Ca 16332/15) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 06. April 2016 - 31 Ca 16332/15 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund auflösender Bedingung mit Ablauf des 30.04.2016 geendet hat.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 03.11.2015 geendet hat.
II.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger ¼ und die Beklagte ¾ zu tragen.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger ist seit 01.07.2003 als Pilot bei der Beklagten beschäftigt, davon seit dem 01.01.2005 als Flugkapitän. Unter dem 22.12.2006 bzw. 30.12.2006 unterzeichneten der Kläger und die Beklagte einen "Rahmenvertrag für Piloten". Der Rahmenvertrag vom 22.12.2006 bzw. 30.12.2006 enthält u. a. folgende Regelung:
"...
§ 13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(1)
Das Arbeitsverhältnis kann nach Ablauf einer etwaigen Probezeit von beiden Parteien, auch während einer Befristung des Arbeitsverhältnisses, mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden, es sei denn, die gesetzliche Kündigungsfrist ist länger.
...
(6)
Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, wenn der Mitarbeiter seine Fluglizenz verliert und G. den Verlust der Berechtigung nicht zu vertreten hat, oder wenn der Pilot wegen körperlicher Untauglichkeit seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, zu dem Zeitpunkt, zu dem nach Feststellung und Bekanntgabe der Fluguntauglichkeit an den Betroffenen eine Beendigung frühestens nach den Fristen des § 13 Abs. 1 möglich ist.
Untauglichkeit in diesem Sinne ist das auf einem unbehebbaren oder aller Wahrscheinlichkeit nach unbehebbarem körperlichem Mangel beruhende Unvermögen, eine fliegerische Tätigkeit auszuüben.
...".
...
§ 28 Schlussbestimmungen
Der Mitarbeiter bestätigt mit der Unterschrift neben dem Rahmenvertrag die unten aufgeführten Anlagen erhalten zu haben und erklärt sich mit den dort enthaltenen Regelungen insgesamt für einverstanden.
Nach den luftrechtlichen Bestimmungen der EU-Verordnung 1178/2011 vom 03.11.2011 muss der Pilot Inhaber eines Tauglichkeitszeugnisses sein, das ihm geistige und körperliche Tauglichkeit bescheinigt. Dieses Zeugnis muss in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Luftverkehrszulassungs-Ordnung ausgestellt werden und den Rechten der jeweiligen Lizenz entsprechen.
Bei dem Kläger traten im Jahr 2009 Krankheitssymptome wie Erschöpfung, Konzentrationsstörungen und massive Schlafstörungen auf. Der Kläger war vom 16.06.2009 bis 26.07.2009 arbeitsunfähig erkrankt. Nach anfänglicher Stabilisierung des Gesundheitszustandes verschlechterte sich dieser nach wenigen Monaten wieder. Zu den bereits aufgeführten Symptomen traten Nervenschmerzen in den Extremitäten, Sprachstörungen, Vergesslichkeit und Koordinationsprobleme hinzu. Seit dem 10.05.2010 ist der Kläger durchgehend nicht als Flugkapitän einsatzfähig. Bis zum 15.10.2010 wies der Kläger seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach.
Ein betriebliches Eingliederungsmanagement iSd. § 84 Abs. 2 SGB IX wurde zu keinem Zeitpunkt durchgeführt.
Am 30.11.2010 stellte sich der Kläger zur Beurteilung seiner Flugtauglichkeit vor. Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung, hinsichtlich deren genauen Inhalts auf Bl. 328 d. A. verwiesen wird, wurde ohne Bewertung der...