Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeigen von Tattoos rechtfertigt keine Kündigung. Entbehrlichkeit der Abmahnung bei Unbelehrbarkeit
Leitsatz (amtlich)
Das beklagte Land kann die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung nicht mit Erfolg darauf stützen, dass der Kläger durch das Anbringen rechtsextremistischer Tattoos auf seinem Körper (Leitspruch der SS) nach außen erkennbar die innere Abkehr von der Verfassungsordnung dokumentiert habe, weil es in der Anhörung des Personalrats darauf hingewiesen habe, dass der Kläger sich deutlich vom nationalsozialistischen Gedankengut distanziert habe.
Leitsatz (redaktionell)
Wer im Schulumfeld rechtsextremistische Tattoos zeigt, begeht eine Pflichtverletzung. Diese ist abmahnfähig. Eine direkte Kündigung ist nicht möglich, da aufgrund des steuerbaren Verhaltens eine Besserung nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1; ArbGG § 72 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Neuruppin (Entscheidung vom 13.06.2019; Aktenzeichen 4 Ca 162/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 13.06.2019 - 4 Ca 162/19 - teilweise abgeändert:
Die Klage wird hinsichtlich des vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrages abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger ¼ und das beklagte Land ¾ zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 13.02.2019 und den vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch.
Der im Januar 1983 geborene Kläger ist ausgebildeter Diplom-Chemiker. Seit dem 31.08.2016 ist er als Lehrer (Seiteneinsteiger) im Schuldienst des beklagten Landes beschäftigt.
Bei einem Schulsportfest am 03.07.2018 zog der Kläger bei großer Hitze sein T-Shirt aus. Ein Lehrer machte von dem Sportfest Fotos. Auf einem der Fotos (Kopie Bl. 22 d.A.) sind verschiedene Tattoos auf dem Oberkörper des Klägers zu sehen: an einem Arm der Schriftzug "Legion Walhalla", im Bereich beider Brustwarzen eine "Schwarze Sonne" und "Thors Hammer" (Mjölnir) mit einer Wolfsangel und einer Gibor-Rune. Darunter füllt in großen Buchstaben und Frakturschrift der Leitspruch der SS ("Meine Ehre heißt Treue") den gesamten Bauchbereich aus. Auf einem weiteren Foto, das der Kläger als Kopie im Berufungstermin zur Akte gereicht hat (Bl. 241), ist bei stark abgesenktem Hosenbund unter dem Wort Treue der Zusatz "Liebe Familie" zu sehen. Andere Tattoos sind nicht identifizierbar. Auf einem Oberarm ist noch tätowiert: "Odin statt Jesus".
Am 04.07.2018, dem letzten Schultag vor den Sommerferien, haben der fotografierende und ein weiterer Lehrer den Kläger wegen der Tattoos angesprochen. Anschließend fand eine Aussprache bei dem stellvertretenden Schulleiter statt. Hierüber sind schriftliche Vermerke gefertigt worden, die zur Akte gereicht wurden. Der Kläger hat unter dem 06.07.2018 eine 6-seitige schriftliche Stellungnahme an die amtierende Schulleiterin und den stellvertretenden Schulleiter verfasst (Bl. 208ff d.A.). Hierin versichert er "vehement", dass er "nie eine rechte Gesinnung hatte und haben werde." Er verwies auch auf den Zusatz "Liebe Familie". Zu den Tattoos erklärte er u.a.:
"Die "Schwarze Sonne" gilt als Götterkenntnis, die Erleuchtung und das absolute Wissen über die Zusammenhänge des gesamten Lebens aus einem arteigenen, germanischen Denken und Gefühlslebens heraus. ... Die "Schwarze Sonne" ist somit, vereinfacht gesagt, die Hüterin unserer uralten eigenen germanischen Werte. Wer heute die "Schwarze Sonne" trägt, zeigt mit diesem Symbol die Verbundenheit mit der eigenen Art und mit den uns arteigenen Wertvorstellungen. Gleichzeitig ist es ein Bekenntnis gegen die herrschenden, zerstörerischen Kräfte des Mammons und der zunehmenden Dekadenz."
Das Schulamt erfuhr am 17.10.2018 von den Vorfällen durch einen Vermerk des amtierenden Schulleiters an das Schulamt (Bl. 50, 52 d.A.), dem die Stellungnahmen der beiden Lehrer und des Klägers beigefügt waren. Nach diesem Vermerk habe die ehemalige Schulleiterin bestätigt, dass sie Kenntnis von den tätowierten Symbolen gehabt hätte. Der Kläger habe ihr gegenüber "eine dunklere Vergangenheit" angedeutet und den kompletten Oberkörper gezeigt. Sie habe ihm den Hinweis gegeben, die Tattoos zu verdecken. Andere Lehrkräfte hätten angezeigt, dass der Kläger in seiner Artistik-AG in der Vergangenheit oberkörperfrei agiert habe. Seit dem Gespräch achte der Kläger sehr genau darauf, dass keines seiner Tattoos mehr sichtbar sei. Ferner wurde Bezug genommen auf das nunmehr von der einen Lehrkraft eingereichte Foto mit dem Hinweis, dass hierdurch deutlich geworden sei, dass es um großflächige Tätowierungen ginge, die besonders in ihrer Kombination hochproblematisch seien. Es werde um Prüfung ersucht, inwiefern es sich um einen Vorfall mit rechtsextremistischem Hintergrund handelt. Das betreffende Foto selbst w...