Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialkassenpflicht im Baugewerbe aufgrund des Sozialkassenverfahrensicherungsgesetzes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassen im Baugewerbe vom 16.05.2017 (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz -SoKaSiG) ist verfassungsgemäß.

2. Begehrt der Kläger als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes die Zahlung von Sozialkassenbeiträgen auf der Grundlage des VTV-Bau 2015, macht es hinsichtlich des Lebenssachverhalts keinen Unterschied, ob der VTV-Bau 2015 auf die Beklagte kraft wirksamer Allgemeinverbindlicherklärung oder kraft Gesetzes Anwendung findet. Die Frage des rechtlichen Geltungsgrundes der Bestimmungen des Tarifvertrages ist nicht Teil des Streitgegenstands sondern betrifft die Normebene und damit allein die rechtliche Bewertung des zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplexes.

 

Normenkette

SokaSiG § 7; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12; SoKaSiG § 7 Abs. 2; SokaSiG § 11; VTV-Bau §§ 15, 18 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 12.01.2017; Aktenzeichen 15 Ca 81086/16)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.01.2017 - 15 Ca 81086/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für die Monate Juli bis Oktober 2015 und Dezember 2015.

Der Kläger ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft und als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

Die Beklagte unterhält im Westteil von Berlin einen Baubetrieb, in dem zeitlich überwiegend Hochbau- und Maurerarbeiten erbracht werden. Im Handelsregister wird als Gegenstand der Beklagten die Ausführung von Maurer- und Betonarbeiten sowie Gerüstbau angegeben. Im Stammblatt vom 30. Oktober 2002 gab die Beklagte zur ausgeübten der Betriebstätigkeit an: Bau 70 %, Gerüstbau 30 %.

Die Beklagte ist weder Mitglied des Zentralverbandes Deutscher Baugewerbe noch des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, sie ist nicht tarifgebunden. Mit Schreiben vom 26. September 2002 beantragte die Beklagte die Eröffnung eines Beitragskontos für das Berliner Baugewerbe und nahm ab September 2002 am Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft teil.

Mit Bekanntmachung vom 6. Juli 2015 erklärte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den für das Jahr 2015 maßgeblichen Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 3. Mai 2013 in der Fassung der Änderungstarifverträge vom 3. Dezember 2013 und vom 10. Dezember 2014 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2015 für allgemeinverbindlich (Bundesanzeiger AT vom 14.07.2015 B4).

Mit Beschluss vom 21. Juli 2016 stellte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg -14 BVL 5507/15 fest, dass die Allgemeinverbindlicherklärung wirksam ist. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Rechtsbeschwerde ist beim Bundesarbeitsgericht unter dem Az. 10 ABR 62/16 anhängig.

Mit mehreren Beschlüssen vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15 und 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 und 10 ABR 34 5 10 - erklärte das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV für die Jahre 2008, 2010, 2012, 2013 und 2014 für unwirksam.

Am 13. Dezember 2016 brachten die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD einen entsprechenden Gesetzentwurf (BT-Drucksache 18/10631) in den Deutschen Bundestag ein. Am 26. Januar 2017 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassensicherungsgesetz - SokaSiG). Das Gesetz wurde am 24. Mai 2017 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBL I Nr. 29, Seite 1210ff) und ist nach § 14 SokaSiG am 25. Mai 2017 ohne eine Übergangsvorschrift in Kraft getreten. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass der VTV in seinem Geltungsbereich für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 unabhängig von einer wirksamen Allgemeinverbindlicherklärung (§ 7 Abs. 1 - 10) und seiner sonstigen Wirksamkeit (§ 11) gilt. Es erfasst auch den VTV vom 3. Mai 2013 in der Fassung der Änderungstarifverträge vom 3. Dezember 2013 und vom 10. Dezember 2014 (VTV 2015).

Zu seinem Beitragskonto meldete die Beklagte, soweit hier von Belang, folgende Sozialkassenbeiträge:

- 19.415,82 € für gewerbliche Arbeitnehmer für die Monate Juli 2015 bis Oktober 2015, Dezember 2015

- 1.340,00 € für Angestellte für die Monate Juli 2015 bis Oktober 2015, Dezember 2015.

Mit Mahnbescheid vom 29.04.2016 hat der Kläger gegenüber der Beklagten die Zahlung von Sozialkassenbeiträgen in Höhe von insgesamt 20.755,82 € für die Monate Juli 2015 bis Oktober 2015 und Dezember 2015 gefordert. Gegen den der Beklagten am 30.04.2016 zugestellten Mahnbescheid hat diese mit Eingang am 4. Mai 2016 beim Arbeitsgericht Berlin Widerspruch eing...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge