Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialkassenpflicht im Baugewerbe aufgrund des Sozialkassenverfahrensicherungsgesetzes
Leitsatz (redaktionell)
1. Begehrt der Kläger als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes die Zahlung von Sozialkassenbeiträgen auf der Grundlage des VTV-Bau 2015 und besteht der Lebenssachverhalt, auf den er seine Forderung stützt, im Wesentlichen darin, dass die Beklagte einen unter den Geltungsbereich des VTV-Bau 2015 fallen Baubetrieb unterhielt und eine bestimmte Anzahl gewerblicher Arbeitnehmer gegen einen von ihr selbst an den Kläger gemeldeten Bruttolohn beschäftigte, macht es hinsichtlich des Lebenssachverhalts keinen Unterschied, ob der VTV-Bau 2015 auf die Beklagte kraft wirksamer Allgemeinverbindlicherklärung oder kraft Gesetzes Anwendung findet. Die Frage des rechtlichen Geltungsgrundes der Bestimmungen des Tarifvertrages ist nicht Teil des Streitgegenstands sondern betrifft die Normebene und damit allein die rechtliche Bewertung des zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplexes.
2. Das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassen im Baugewerbe vom 16.05.2017 (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz -SoKaSiG) unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
SokaSiG; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12; SoKaSiG § 7 Abs. 2; VTV-Bau § 1 Abs. 2, §§ 15-16, 18
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 06.09.2016; Aktenzeichen 15 Ca 80854/16) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 06. September 2016 - 15 Ca 80854/16 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist die gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (im Folgenden: VTV) in der jeweils geltenden Fassung. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer für die Monate Januar 2015 bis März 2015 sowie Mai und Juni 2015 in Höhe von 11.362,67 Euro und die Zahlung von Sozialkassenbeiträgen für Angestellte für dieselben Monate in Höhe von 1.340,00 Euro. Die Beiträge sind der Höhe nach unstreitig und beruhen auf den Meldungen der Beklagten.
Die Beklagte betreibt einen Baubetrieb iSd. § 1 Abs. 2 VTV. Sie ist nicht aufgrund Verbandsmitgliedschaft nach 3 Abs. 1 TVG iVm. § 4 Abs. 2 TVG normativ an den VTV gebunden. Der VTV wurde soweit für die vorliegenden Beitragsmonate relevant mit Allgemeinverbindlicherklärung vom 06.07.2015 für allgemeinverbindlich erklärt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 06.09.2016 stattgegeben. Hinsichtlich der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 17 d. A. verwiesen.
Gegen das ihr am 10.11.2016 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit am 14.11.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit beim Landesarbeitsgericht am 07.12.2016 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe seiner Entscheidung zu Unrecht den VTV zugrunde gelegt. Sie sei nicht an den VTV gebunden. Sie verweist auf die Entscheidungen des BAG, in denen dieses die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV 2008, 2010 und 2014 festgestellt habe. Es sei deswegen davon auszugehen, dass auch für das Jahr 2015 keine wirksame Allgemeinverbindlicherklärung bestehe. Des Weiteren habe die Beklagte gegen den Kläger einen Anspruch auf Erstattungsleistungen iHv. 153.127,97 EUR, insoweit werde vorsorglich die Hilfsaufrechnung erklärt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 06.09.2016 - 15 Ca 80854/16 - abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV für die streitgegenständlichen Zeiträume sei wirksam erfolgt. Er stützt nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Sicherung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe (SokaSiG) mit Wirkung vom 25.05.2017 seinen Anspruch - unter Wiederaufnahme des Verfahrens - zusätzlich auf das SokaSiG.
Entscheidungsgründe
A. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung der Beklagten ist formgerecht und fristgemäß im Sinne von § 64 Abs. 6, § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist daher zulässig.
B. Die Berufung ist unbegründet.
I. Der der Höhe nach unstreitige Anspruch ergibt sich im Hinblick auf die gewerblichen Arbeitnehmer aus § 15 VTV und im Hinblick auf die Angestellten aus § 16 VTV jeweils iVm. § 18 VTV.
II. Der VTV findet Anwendung.
1. Es kann offenbleiben, ob der VTV kraft Allgemeinverbindlicherklärung vom 06.07.2015 oder kraft Nachwirkung infolge der wirksamen Allgemeinverbindlicherklärung vom 24.02.2006 galt. Soweit der Kläger zur Nachwirkung des VTV für die Zeiträume von Oktober 2007 bis zum 31. Dezember 2014 im Einze...