Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei Angebot der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist durch den Arbeitgeber

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist im Rahmen des § 626 BGB auch das eigene Verhalten des Arbeitgebers zu bewerten.

2. Da die Beklagte selbst eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist angeboten hatte, kann nicht angenommen werden, dass das Verhalten der Klägerin derart gravierend war, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu einer Beendigung im Rahmen einer ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar war.

 

Normenkette

BGB §§ 140, 626

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 20.12.2017; Aktenzeichen 8 Ca 1544/17)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 20. Dezember 2017- 8 Ca 1544/17 - abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 27. Oktober 2017 aufgelöst wurde.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Tarifbeschäftigte EG6 Stufe 3 TVöD-V zu beschäftigen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 27.10.2017.

Die Klägerin hatte an vier Tagen im August und September 2017 den Arbeitsbeginn um insgesamt 135 Minuten zu früh in der entsprechenden Excel-Tabelle angegeben.

Am 19.10.2017 wurde die Klägerin zu diesem Verhalten angehört. In dem entsprechenden Gesprächsvermerk der Beklagten heißt es hierzu u.a.:

"Daher würde nur eine außerordentliche Kündigung in Frage kommen. Der Ausstieg könne aber in Interessenabwägung so gestaltet werden, dass der Schaden begrenzt wird. Z.B. könne das Arbeitsverhältnis bis Ende des Jahres bestehen bleiben, damit Frau L. ausreichend Zeit habe, sich eine neue Beschäftigung zu suchen und sie die Jahressonderzahlung erhalte."

Hinsichtlich des übrigen unstreitigen Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien in der 1. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit Urteil vom 20.12.2017 hat das Arbeitsgericht Potsdam die Klage abgewiesen. Die Kündigung sei gemäß § 626 BGB gerechtfertigt. Es liege eine vorsätzlich falsche Dokumentation der Arbeitszeit an vier Tagen vor. Jedenfalls liege der dringende Verdacht einer solchen Handlung vor. Der Vortrag der Klägerin, sie habe versehentlich die Zeiten falsch angegeben, werde für eine Schutzbehauptung gehalten. Es sei schlicht nicht glaubhaft, dass die Klägerin insgesamt vier Mal und davon drei Mal nacheinander versehentlich einen falschen Arbeitsbeginn eingetragen haben will, obwohl sie seit 14 Monaten bei der Beklagten arbeitet und ihr die Dienstvereinbarung genau bekannt gewesen sei. Die Kammer halte es für wahrscheinlicher, dass die Klägerin die Abwesenheit ihrer Kollegin ausgenutzt habe, um sich eine großzügigere Arbeitszeit gutzuschreiben. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin entweder bewusst diese Zeiten eingetragen oder alle Arbeitszeiten nach ihrer Schätzung oder beliebig eingetragen hat. In allen Fällen hätte die Klägerin jedenfalls die Unrichtigkeit und den auf ihr beruhenden rechtswidrigen Erfolg für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen. Selbst wenn man dies alles nicht annehmen wolle, wäre jedenfalls der auf dringende Tatsachen gestützte Verdacht einer vorsätzlichen Angabe falscher Arbeitszeiten gegeben. Eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich. Auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei der Beklagten nicht zuzumuten. Wie solle die Beklagte den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern deutlich machen, dass die Klägerin in der Lage sei, Reisekostenabrechnungen von Mitarbeitern korrekt zu prüfen und zu bearbeiten, wenn sie selbst ihre Arbeitszeiten bewusst falsch dokumentiere? Insofern überwiege auch im Rahmen einer vorzunehmenden Interessenabwägung das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse der Klägerin an der Beibehaltung dieses Arbeitsverhältnisses. Mangels Obsiegens der Klägerin mit dem Kündigungsschutzantrag sei die Beklagte auch nicht verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens vorläufig weiter zu beschäftigen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie betont erneut, dass sie nicht vorsätzlich gehandelt habe. Wegen der hohen Arbeitsbelastung habe sie vergessen, die Arbeitszeiten tagesaktuell einzutragen. Sie habe sich an jedem Tag bewusst gemacht, wie viel Stunden sie erbringen müsse. Diese Stunden habe sie tatsächlich auch geleistet. Insofern habe sie auch das Arbeitsende falsch notiert. Unberücksichtigt geblieben sei auch ihre hohe Arbeitsbelastung. Es sei reine Mutmaßung des Arbeitsgerichts, dass sie ...

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